Die „Misere von Karstadt und Kaufhof“, wie Ralph Bollmann die aktuelle Krise der Warenhäuser in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 01. Januar nennt, liegt nicht im Internet begründet, sondern vielmehr im Wandel der Gesellschaft. Ausführlich wird hier von den Anfängen der Kaufhäuser im 19. Jahrhundert berichtet und das ursprüngliche Erfolgskonzept in Erinnerung gerufen: Als „Agenten der Gleichmacherei“ sprengten sie die Grenzen der gesellschaftlichen Schichten, sodass „sich jetzt alle zumindest einen bescheidenen Anteil an jenem Luxus leisten konnten, der einst dem Sonnenkönig und seinen Höflingen vorbehalten war.“ Die Industrie war gezwungen, billig, aber nicht minderwertig zu produzieren, während die Preise weiterhin auch für die kleinen Leuten erreichbar waren, heißt es dazu von Historiker Jens Bisky. Das Prinzip der Kaufhäuser und dessen unterschiedliche Abstufungen wurde mit der Zeit auch von der „guten Gesellschaft“ akzeptiert, was zum Teil auch an dem schlossartigen Äußeren lag.
Dennoch gab es auch Widerstand. „Tatsächliche und vermeintliche Opfer des Modernisierungsprozesses organisierten sich“, beschreibt Bollmann. Die NSDAP, die den zahlreichen Kleinhändlern „sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser“ versprach, erfreute sich in der Folge eines großen Zulaufs. Doch statt einer Zerschlagung folgte eine „Arisierung“, die jüdische Eigentümer herausdrängte und Unternehmen enteignet, gefolgt von einer Umstrukturierung und Umbenennung. Boll formuliert treffend: „Hertie und Horten, Kaufhof und Karstadt: So entstand ausgerechnet unter den Nationalsozialisten, die das Warenhaus ursprünglich abschaffen wollten, jenes Konsumquartett, das für die Bonner Nachkriegsrepublik der Wirtschaftswunder-Zeit prägend werden sollte.“ Der Mythos der nivellierten Mittelstandsgesellschaft, Vergangenheitsverdrängung und Konsumrausch sorgten dafür, die Kaufhäuser inmitten der zerstörten Innenstädte wieder als Konsumpaläste auferstehen lassen zu können. „So nivelliert wie behauptet war die Gesellschaft zwar nicht, trotzdem hatten Krieg, Zerstörung und Vertreibung die deutsche Gesellschaft hinreichend durcheinandergewirbelt. Klassenunterschiede waren nicht mehr so offensichtlich wie in England, Frankreich oder Italien.“
Und so änderte sich mit der „Ausdifferenzierung der Gesellschaft in der Postmoderne“ auch die Bedeutung des Warenhauses. Nicht mehr materielle Zwänge bestimmten das Einkaufserlebnis, sondern Marken und ein individuelles Selbstbild. Zwar unternahm man mit Shop-in-Shop und Mall-Annäherungen durchaus Versuche, dem entgegenzuwirken – ein Erfolg blieb jedoch aus. „Der klassische Warenhaus-Kunde wollte sich nicht vorher schon entscheiden, ob er ein Hemd von Hugo Boss oder von Ralph Lauren kauft, er wollte einfach nur ein Hemd haben. Das bot ihm jetzt auch das Kaufhaus nicht mehr, und wenn es ihm auf die Marke ankam, konnte er gleich in die Mall gehen“, führt Bollmann weiter aus. Die eigentlichen Probleme waren damit nicht die Shoppingmalls oder der Onlinehandel, denn: „Die Gesellschaft, für die das Warenhaus einst stand, gibt es nicht mehr.“