Gut bedient ist halb gewonnen
Trautmann Orthopädieschuhtechnik
- 05.05.2023
- Christian Kandlin
- 1 Minute
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Seit 1889 fertigt man bei Trautmann Schuhe nach Maß an. (Foto: Trautmann GmbH)
Es fällt schwer, mitzuhalten, wenn Matthias Trautmann erst einmal Fahrt aufnimmt. Kaum angekommen und Hände geschüttelt, geht es auch gleich los: über die Ladenfläche geflitzt, alle Mitarbeitenden unterwegs mit einem lauten Lächeln gegrüßt, von einem Raum zum nächsten – und damit von einer Geschichte zur nächsten. Denn auf den ersten, unwissenden Blick erscheint das Gebäude im badischen Appenweier-Urloffen wie ein modernes, aber einfaches Schuhfachgeschäft. Die informierten Besuchenden wissen natürlich, dass sich direkt dahinter ein Orthopädieschuhmacher mit Familienhistorie befindet. Und nicht irgendeiner: Trautmann GmbH Orthopädieschuhtechnik – Schuhfachgeschäft. Denn erst auf den zweiten, genaueren Blick, wird einem die Tragweite des Unternehmens – und vielleicht auch dessen Geschichte – bewusst.
Die Trautmann-Dynastie blickt weit zurück: 1889 gegründet, entschied sich Urgroßvater Andreas Trautmann dazu, neben der Landwirtschaft auch eine Schuhmacherwerkstatt zu betreiben. Seitdem wurde das Unternehmen stetig von der nächsten Generation übernommen – vom Großvater, der nach 70 Jahren seinen Eisernen Meisterbrief erhielt und vom Vater nach ihm, der mit 22 Jahren der damals jüngste Orthopädieschuhmachermeister wurde. Dieser übernahm 1964 das Geschäft, nachdem es bereits vor einigen Jahren um einen Schuhhandel erweitert wurde, und erwarb damals die Lizenz als Sanitätshaus. 1992 stellte der Betrieb als erstes Unternehmen die Einlagenfertigung per Hand zur damals revolutionären CNC-Technik um. Wenige Jahre später, kurz vor der Jahrhundertwende, wurde Matthias Trautmann zum Geschäftsführer in vierter Generation ernannt.
Mit den Söhnen, 26 und 20 Jahre alt und beide schon im Unternehmen eingebunden, steht die fünfte Generation bereits in den Startlöchern. Doch auch in den letzten 20 Jahren ist viel passiert: Neben zwei weiteren Filialen in Offenburg und Freiburg kam es auch zur ständigen Erweiterung des Stammgebäudes. Zur nach Norm zertifizierten Orthopädieschuhtechnik wurde auf nun 300 qm auch die Verkaufsfläche weiter ausgebaut sowie die Werkstatt in den Keller verlegt. Hierfür wurde schonmal ein Grundstück der Weinkellerei von nebenan gekauft, um auch Zugriff auf neue Parkplatzflächen zu erhalten. Auch die Transformation zur Digitalisierung wirkte sich stark auf die internen Abläufe des Unternehmens aus. Ununterbrochen scheint sich das Unternehmen weiterzuentwickeln. „Stillstand ist Rückgang“, sagt Trautmann, bereits auf dem Weg zum Orthopädiebereich, weiter hinten im Gebäude. „Wir machen weiter.“
Matthias Trautmann führt das Unternehmen in vierter Generation. (Foto: Trautmann GmbH)
Erneut ein kurzes Lächeln an die Damen am Empfang, kurzer Smalltalk, dann geht die Führung weiter. An weißen Türen vorbei, durch nahezu klinisch wirkende Flure. Vier Fußpflege- und Orthopädiekabinen befinden sich hier, sowie weitere Messkabinen, beispielsweise zur Laufbandanalyse. Hier werden Patienten mit ihren Sportschuhen auf dem Band getestet, um zu kontrollieren, wie gut der Schuh passt oder ob die Kompressionsstrümpfe sitzen. Weitestgehend berührungsfrei, merkt Trautmann an. Die Investitionen hierfür wurden während der Pandemie getätigt, und bevorzugt werde es weiterhin. Doch apropos Pandemie: Wie verliefen die letzten Jahre? „Durch die Orthopädie dürfen wir nicht klagen, weil wir systemrelevant arbeiten durften“, erklärt Trautmann.
In seinem Büro – oder eher seiner eigenen Messkabine – zeigt Trautmann noch einmal genau, wie die Analysen auf dem Laufband ablaufen. Mit Druckplatten kann die Druckverteilung der Füße gemessen werden, das Laufband ist mit einer Kamera ausgestattet, um die exakten Laufmuster zu analysieren. Und wo die Technik nicht greift, geht Trautmann selbst auf Tuch- bzw. Fußfühlung. Durch geschicktes Abtasten lässt sich mit den restlichen Daten ein Gesamtbild erschaffen, das als exakte Messung an die Techniker in der Werkstatt weitergegeben werden kann – alles digital, versteht sich.
Doch bevor es zur eigentlichen Schuhproduktion geht, gilt die Frage zu klären, wer diesen Service überhaupt in Anspruch nimmt. „Zu uns kommen Leute, die haben Probleme. Und denen muss ich helfen“, erklärt Matthias Trautmann treffend. Doch diese Probleme äußern sich nicht immer in sofort erkennbaren Fußproblemen, führt er weiter aus. „Die Leute kommen und sagen, sie hätten Knie- oder Rückenprobleme. Darauf antworte ich: Stellt euch den schiefen Turm von Pisa vor. Der Turm ist nicht krumm, der Boden hat nachgegeben. Das heißt: Wenn ich unten nicht stabil stehe, kann ich den Körper oben nicht stabilisieren.“ Aus diesem Grund sei die Schuhaufsicht, sowohl zur ersten Anprobe als auch nach der Beratung, sehr wichtig, ebenso die aufwendige Beratung selbst, die bei Trautmann das A und O ausmacht. Diese sei wichtig, um mit grundlegenden Irrtümern aufzuräumen, wie die häufige Frage, ob bei Einlagen die Füße denn nicht mehr arbeiten würden. „Das stimmt, wenn die Einlage hart ist. Wir machen keine harten Einlagen.“ Mit der bei Trautmann angebotenen Aktiveinlage werde die Muskulatur stimuliert und aktiviert. Für Sportschuhe werden entsprechende Bezüge angeboten. „Die bremsen zwar beim reinschlüpfen, aber wenn sie drinnen stehen, stehen sie bombig und rutschen nicht.“ Auch Einlagen für Business-Schuhe und Pumps, unabhängig der Absatzhöhe, sind Teil des Sortiments.
Für die Behandlung als auch für die Fertigung wurden wesentliche Schritte Digitalisiert. (Foto: Trautmann Gmbh)
Die Produktion von orthopädischen Schuhen findet bei Trautmann im gut beleuchteten Keller statt. Seitlich große Fenster, nach oben hin können Kundinnen und Kunden von der Ladenfläche herunterschauen und das Treiben live verfolgen. Matthias Trautmann erzählt, wie wichtig es ihm war, beim Umbau auf gewisse Voraussetzungen der Arbeitsumgebung zu achten. Neben dem Tageslicht seien auch die dezentrale Lüftung oder die höhenverstellbaren Maschinen ein Muss. „Es muss Spaß machen, hier zu sein. Mann soll sich ja nicht fühlen, als würde man im Keller sitzen.“ Und in einem Geschäft für orthopädische Schuhe müsse man zuerst bei den Arbeitskräften auf die Gesundheit achten. Auf sein Grüßen hin lächeln die vielen tatkräftigen Mitarbeitenden zwischen den Maschinen freundlich zurück.
Hier unten, zwischen Gesprächen und Maschinenlärm, ist der Ort, an dem die orthopädischen Schuhe nach Maß angefertigt und repariert werden. Über Gipsabdrücke kann hier präzise mit unterschiedlichen Farben gearbeitet werden, um auch wirklich alle Bedürfnisse zu decken. Dabei kann eine Maßfertigung schon einmal ihre 40 Stunden pro Schuh dauern. Für den Orthopädieschuhmacher kommt 3D-Druck zurzeit nicht in Frage, dafür sei die Technik noch zu teuer und die Prozesse dauerten schlichtweg zu lang. Die Produktion der orthopädischen Einlagen wurde im Verlauf der langen Betriebsgeschichte mehrmals umgekrempelt und abgeändert. 2010 entschied sich Trautmann dazu, das Frässystem zu wechseln. Doch unter den damals angebotenen Systemen gab es keines, das den Bedürfnissen gänzlich entsprach. Deshalb suchte sich der Geschäftsführer Fachleute aus dem CAD-Bereich sowie Maschinenbauer zusammen, um sein eigenes Frässystem mitsamt der Firma Feetinform zu gründen. 2012 wurde dieses System erstmals auf der Orthopädie + Reha in Leipzig vorgestellt.
In der Einlagen-Werkstatt, in der das System zum Einsatz kommt, herrscht ebenfalls reges Treiben. Hier unten werden Fräs-Blöcke, die direkt vom Lieferanten kommen, gelagert und verarbeitet. Aktuell arbeite man auch mit diesen daran, die Überreste der Produktion wieder einschmelzen zu können, um sie daraufhin wiederzuverwerten. „Früher haben wir sehr viel Lagerfläche gebraucht“, erinnert er sich zurück und blickt sich im weiten Raum um. „Brauchen wir nicht mehr.“ Aufgeräumt und sortiert ist die Werkstatt gut organisiert und durchgehend auf Trab. „Jetzt bekommen wir unsere Lieferung, wir machen die Form und können direkt loslegen.“ Für individuelle Wünsche bietet Trautmann auch unterschiedliche Bezüge in den gewünschten Farben an. Selbst seine eigenen Modelle für Zehentrenner werden hier angeboten. „Trautletten“, wie die luftigen Schuhe heißen, sind ebenfalls Maßanfertigungen – kein Paar gleicht dem anderen, erst recht nicht in der Farbe.
Doch Trautmann selbst ist weniger in der Werkstatt unten tätig und erst recht nicht im Obergeschoss, im Büro. Dort hat er Leute, damit er selbst wiederum auf der Fläche sein kann. Insgesamt stellt sich das Team von Trautmann aus rund 60 Mitarbeitenden zusammen – ca. 50 im Stammhaus in Appenweier-Urloffen, 6 in der Filiale in Offenburg und 5 in der Filiale in Freiburg. Sein Nachwuchs ist ebenfalls aktiv, Sohn Jan kümmert sich bereits um den Standort in Offenburg. Doch egal ob in Offenburg, Freiburg oder in der Zentrale in Appenweier: auch Matthias Trautmann hat mit allgegenwärtigen Problemen zu kämpfen. Aktuell bereitet ihm vor allem die Personalsuche Kopfschmerzen. „Bis jetzt haben wir immer Leute gefunden, wenn wir sie gebraucht haben“, erzählt er. „Es ist schwieriger geworden, aber wir haben es geschafft.“ Doch auf etwaige Glücksgriffe kann man sich als Geschäftsführer und Unternehmer nicht langfristig verlassen. Erst recht nicht, wenn in fünf bis zehn Jahren einige Mitarbeitende in den Ruhestand gehen. „Wie ich diese Löcher stopfe, bereitet mir ganz große Sorgen“, sagt er nüchtern. Nach dem Rundgang ist nun Zeit, kurz stehen zu bleiben und innezuhalten.
Angebote durch Schulpraktika werden nicht genutzt, die Stellenanzeige für Lehrlinge bleibt unbeantwortet. „Nicht einmal eine Bewerbung.“ Dabei seien die Möglichkeiten sogar vorhanden, blieben jedoch durch unnötige Bürokratie verwehrt: Eine lernwillige Fußpflegerin darf ihre gewünschte Ausbildung zur Podologin nicht absolvieren, weil ihre ausländischen Schulabschlüsse bei uns nicht anerkannt werden. Einer weiteren Fußpflegerin, die gerne mehr arbeiten würde, werden steuerliche und sozialversicherungstechnische Hürden in den Weg gelegt. „Da müsste sich Deutschland generell mal Gedanken machen. Wenn ich sehe, wie größere Unternehmen ins Ausland gehen, weil die erkennen, dass es dort einfacher ist – dann muss man sich hier wirklich Gedanken machen.“ Aber auf einer solchen Ebene versucht Trautmann gar nicht erst zu denken – ihm ist wichtiger, was er selbst in der Hand hat.
Über die Jahre hinweg wurde das Gebäude immer weiter ausgebaut. (Foto: Trautmann GmbH)
Und das ist die Richtung, die das Unternehmen einschlägt. Auf der einen Seite auf geschäftlicher Ebene. So arbeite man bereits eng mit Kliniken, Fachärzten oder Physiotherapeutenpraxen zusammen. Auch Sport- und Profivereine würden bereits von der Trautmann GmbH versorgt, so wie etwa die Profi-Fußballer Joshua Kimmich und Eric Maxim Choupo-Moting vom FC Bayern München, Speerwurfweltmeister Johannes Vetter oder Bob-Olympiasieger André Lange und Christoph Langen sowie nicht zuletzt auch Profi-Handballer und diverse andere Sportler aus Spitzen- und Breitensport. Trautmann ist außerdem Teil des Arbeitskreises für Orthopädieschuhtechnik Baden-Württemberg. Doch bei all den großen Namen und den Initiativen, die gestartet wurden, bleibt das Hauptaugenmerk bei den „normalen Menschen.“ Und während die Kooperationen mit großen Vereinen zwar erfolgreich verläuft, ist währenddessen das eigene Team nicht zu vernachlässigen. Vor allem angesichts der kommenden Jahre ist sich Trautmann dieser Tatsache bewusst. „Wir müssen einfach schauen, dass wir unsere gute Stimmung bewahren“, merkt er an und erklärt: Mit regelmäßigen Events wie Waldspeck, Wanderungen oder Betriebsgrillen stärkt man die Bindung der Mitarbeitenden. Samstags bringt der Chef auch schonmal Frühstück mit ins Geschäft. Und verschiedene zusätzliche Boni winken ebenfalls für die Angestellten. „Wir haben einfach ein tolles Arbeitsklima“, betont Trautmann.
Draußen wird es dunkel, nach und nach verabschiedet sich bereits das Personal. Im Obergeschoss wandert Trautmann noch einmal kurz durch ein kleines Zimmer, etwas rustikal, mit älteren Gerätschaften ausgestellt und einer beachtlichen Anzahl an Urkunden an den Wänden. „Unser kleines Familienmuseum“ nennt es Trautmann. Und in der Tat: als er daraufhin die Schuhe einer Kundin zeigt, die sie 1927 als Kind getragen hatte und später dem Geschäft überließ, wird einem die zeitliche Spanne überhaupt erst bewusst. Seit 1889 gibt es das Familienunternehmen, und seit 1889 kommen Kunden von nah und fern. Für Matthias Trautmann ein Beweis für die professionelle Beratung und die Qualität der Produkte: „Wenn die Leute nicht vernünftig bedient werden, würden sie nicht kommen. Und damit können wir uns doch eigentlich ganz zuversichtlich auf die eigene Schulter klopfen.“ Beim Verlassen des Gebäudes bei Ladenschluss verabschieden sich noch die letzten Mitarbeitenden – sie sprechen bereits vom bevorstehenden Abendessen. Trautmann verabschiedet sich mit einem Augenzwinkern: „Aber nicht zu viel, denn morgen gibt’s wieder Frühstück!“ Es folgt Gelächter, Trautmann lächelt ehrlich – und macht sich wieder auf den Weg.