Jede Stadt hat ihre eigenen Codes, ihre eigene DNA, sagt Zukunftsforscher Horx. Städte, die am Reißbrett konstruiert sind, funktionieren seiner Ansicht nach nicht. Und: „Man kann Städte nicht einfach umkrempeln, man kann sie nur evolutionieren.“ Blicke man von oben auf urbane Räume, etwa von der Kamera der Raumstation ISS, dann sei gut erkennbar, dass Städte Organismen sind: ein Adergeflecht der Straßen, Mitochondrien der Fabrikgelände, alte Stadtmauern. Eine Stadt so zu betrachten, sei lohnend, so der Zukunftsforscher. Denn man lerne, das organische Gebilde zu verstehen.
Der Code des Organischen und Wachsenden wurde aus Sicht des Forschers aber in den zurückliegenden Jahrzehnten gestört und teilweise gebrochen, weil das Auto sämtliche Strukturen erobert habe. „Das Urbane wurde von einem holistischen Raum, in dem Schutz sicher war, in der es Handwerk gab, geheiratet, geliebt und gestorben wurde, in verschiedene Areale gespalten: Wohnstadt, Innenstadt, Vororte.“ Wenn man also über Städte sprechen wolle, müsse man sie mit einer systemischen Brille betrachten. Dabei zeigt sich eine interessante Entwicklung: Während Metropolregionen jahrzehntelang von Wachstum geprägt waren und ländliche Regionen Einwohner verloren, gibt es – nicht zuletzt bedingt durch Corona – eine neue Sehnsucht nach dem Land.
Trends entwickelten sich dabei nicht linear; zu jeder Entwicklung gebe es eine Gegenentwicklung – deutlich sichtbar am Beispiel Globalisierung. „Wir hatten eine Turbo-Globalisierung in den vergangenen Jahren, die nun in Frage gestellt wird“, so Horx. Near-Shoring werde zunehmend zum Thema, nachdem über Jahrzehnte die Produktion in Billiglohnländer outgesourct worden sei. Glokalisierung, die Verbindung von Global und Lokal, sei ein Resultat aus diesem Prozess. Gleiches passiere mit Urbanität und Ländlichkeit, wofür Horx den Begriff Rurbanität gebildet hat. „Meine These ist, dass das Städtische und das Ländliche an vielen Punkten konvergieren. Mit einer Rückkehr der Natur in die Großstadt, einer Verdörflichung des Urbanen und einer Verstädterung des Dörflichen.“ Kleine oder mittlere Städte sowie Regionen, die durch Weltoffenheit, Neugier, Bürgersinn, Kultur und Kreatitvität eine eigene Zukunftspositionierung entwickeln, könnten sich hier als „progressive Provinzen“ hervortun – als Gegenentwurf zur „verbitterten“ Provinz. Bei Fragen der Stadtentwicklung müsse, so Horx, auch immer mitberücksichtigt werden, dass Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven auf Entwicklungen blicken. In Anlehnung an den britischen Publizisten David Goodhart schildert der Zukunftsforscher zwei „Meta-Klassen“ in der Gesellschaft, aus der sich unterschiedliche Sichtweisen ergeben. Es bestehe ein Konflikt zwischen „den Dagebliebenen, die um ihre Ressourcen fürchten und Neues als Bedrohungen wahrnehmen, und den anderen, die rausgegangen sind, die draußen gut zurechtkommen.“ Diese Spaltung müsse vermieden werden, um größere Verwerfungen in der Gesellschaft zu verhindern. Hier komme gerade mittelgroßen Städten eine wichtige Rolle zu, weil sie eher als Großstädte in der Lage sind, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen, um gemeinsam Ideen und Konzepte zu entwickeln. Eine Stadt sollte funktionieren wie ein Korallenriff, so die Überzeugung des Zukunftsforschers. So könne sie immer neues Leben hervorbringen.