Herr Schuffelen hat in seiner Rede erklärt, es fehle der Schuh- und Modebranche, vielleicht sogar dem gesamten Einzelhandel an der nötigen Lobby in Berlin. Wie kann diese Situation geändert werden?
Während der Krise hat sich gezeigt, dass die Probleme des Handels in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich wahrgenommen wurden. Während große Teile des Handel wie z.B. der Lebensmittelhandel überhaupt nicht betroffen war, wurde insbesondere der Mode und Schuhhandel sehr hart getroffen.
Die besondere Problematik des Schuhhandels wurde erst sehr spät wahrgenommen. Da die ANWR-Unternehmensgruppe mit ihren angeschlossenen Bankdienstleistungen zwischenzeitlich für über 20.000 Handelsunternehmen tätig ist, kann unsere Stimme mehr Gewicht bekommen. Durch unsere aktive Arbeit in den Verbänden ZGV Der Mittelstandsverbund und auch im HDE wollen wir uns hier stärker Gehör verschaffen. Beide Verbände haben wir in der Krise sehr intensiv mit Informationen versorgt.
Jeder einzelne Unternehmer ist darüber hinaus gut beraten, seine Kontakte in die lokale Politik nutzenbringend einzusetzen, damit das Verständnis für den Handel bzw. Einzelhandel geschaffen wird. So kann der Druck auch „von unten nach oben“ erhöht werden.
Fritz Terbuyken hat auf der Generalversammlung gesagt: „Das genossenschaftliche Modell unserer ANWR hat sich in dieser Krise einmal mehr bewährt.“ Woran konkret machen Sie dies fest?
Gerade in der Krise konnten wir als Genossenschaft sehr viele Aufgaben erledigen, die für jeden einzelnen extrem aufwändig gewesen wären. Das fängt an mit den Verhandlungen über den Lieferstopp und die Valutierung der laufenden Rechnungen und ging weiter über die tägliche Informationsbündelung der Behörden.
Darüber hinaus hat das Marketing sämtliche Aktionsmaterialien für die Verkaufsflächen im Rahmen der Krise und des Hochfahrens bereitgestellt. Fast 300 Unternehmen wurden im Bereich der Liquiditätsplanung digital geschult und unsere Berater hatten über 600 Einsätze alleine in Deutschland. Nicht zu vergessen, haben die Händler insbesondere in der Lockdown-Phase von den Erfahrungen der Kollegen profitiert und diese miteinander sehr rege ausgetauscht. Auch über die regelmäßigen Händler-Newsletter der ANWR haben wir dieses Wissen geteilt. Händler, die unser Leistungspaket mit anderen Verbänden vergleichen konnten, haben den Unterschied sehr deutlich gemerkt.
Unsere beiden Banken sind seit ca. zwei Monaten in der Lage, selbst KfW-Kredite zu vergeben. Dies beschleunigt oftmals den Prozess gegenüber der klassischen Beantragung über die Hausbank. Ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der Verbundgruppenszene.
Was ist genau unter den „Valuten-Jokern“ zu verstehen?
Alle angeschlossenen Händler der ANWR Unternehmensgruppe in sämtlichen Ländern – außer Frankreich – haben die Möglichkeit, zwei Dekaden Rechnungen um 60 Tage ohne Kosten zu verschieben und dennoch die Skontierungsmöglichkeit zu behalten. Die zwei Dekaden sind dabei frei wählbar.
Das Schuhsegment liegt derzeit in der Zentralregulierung mit -19% unter Vorjahr. Bei den Lederwaren sieht es mit über 30% im Minus noch schlimmer aus. Welche Perspektiven sieht die ANWR Group für den Lederwarenhandel?
Der Lederwarenhandel ist noch stärker vom Lockdown getroffen worden als der Schuhfachhandel, da nicht nur die Läden geschlossen waren, sondern zudem danach noch der gesamte Umsatz mit Reisegepäck eingebrochen ist. Die Goldkrone ist mit über 800 Anschlusshäusern mittlerweile der führende Verband im Markt und kann durch den Zugang auf die ANWR Unternehmensgruppe vielfältige Dienstleistungen anbieten. Auch die Goldkrone hat sich entschieden, Ihren Händler die zwei Valutadekaden anzubieten. Bereits vor Corona hat die Goldkrone mit bagmondo.de den Händlern den Zugang zu den digitalen Verkäufen ermöglicht. Wir sind zuversichtlich, dass die Goldkrone ihre Marktposition weiter ausbauen kann und den Händlern zukunftsfähige Dienstleistungen anbietet. Vermutlich wird der gesamte Lederwarenmarkt etwas länger brauchen, bis er sich erholt hat.
Welche größeren Neuzugänge sind bei Sport 2000 an Bord?
Die Sport 2000 ist mit der Strategie der Spezialisierung auf die relevanten Marktsegmente sehr gut gefahren und gut aufgestellt. Im letzten Jahr konnte z.B. der Outdoorspezialist und Onlinehändler „Bergzeit“ gewonnen werden. Die “Sneakerforce” der Sport 2000 hat mittlerweile die führenden Fashion-Sneaker Spezialisten in der Verbundgruppe zusammengeführt.
In Netzwerken denken und handeln – das ist der Appell von Frank Schuffelen an die ANWR-Genossen. Dazu gehört auch die Offenheit gegenüber dem Datenaustausch. Dieses Thema ist nach unseren Informationen auch während der Generalversammlung diskutiert worden. Der Zugang zu den Zahlen der Händler ist vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie von großer Bedeutung. Unternehmer fürchten aber, dass zu viel Transparenz entstehen könnte. Wie wird die Verbundgruppe diesen Konflikt lösen?
Wir nehmen die Anregungen uns Skepsis der Mitglieder sehr ernst und gehen mit den Daten der Händler äußerst sensibel und datenschutzkonform um. Anders kann das notwendige Vertrauen auch nicht entstehen. Die Händler haben dennoch sehr hohe Erwartungen an die Qualität der Dienstleistungen, dies gilt insbesondere für die Warenprogramme. Um hier die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist es wichtig, dass die Einkäufer die Zahlen zeitnah aus dem Markt haben. Händler, die uns Daten zur Verfügung stellen, erhalten zusätzliche Prämien. Es wird aber niemand dazu gezwungen.
Es gibt viele Händler, die es begrüßen, wenn sie im Bereich Ware noch leistungsstärkere und noch relevantere Dienstleistungen erhalten. Dass Händler sich über die Entwicklung von Warengruppen austauschen, ist eine lange Tradition in einer Genossenschaft und gleicht den Nachteil gegenüber den Großfilialisten und Internetgiganten ein wenig aus.
Unsere Aufgabe ist es nun, den Nutzen für jeden Einzelnen aus der Lieferung seiner Daten für die Gemeinschaft zu verdeutlichen. Die konstruktive Diskussion im Rahmen der Generalversammlung war eine erste gute Gelegenheit dafür. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das Potenzial gemeinsam mit unseren Mitgliedern nutzen werden.
Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe, schuhkurier Nr. 38, als E-Paper oder als Printmagazin.