Für Ralph Hanus, Sabu, kommt es darauf an, dass die Branche die richtigen Antworten auf die Fragen von Verbrauchern findet: “Die Bilder der Reportage haben mich sehr erschüttert. Ich bin überzeugt: Man kann jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Sicherlich wird nicht überall in Bangladesch unter den gezeigten Bedingungen für unsere Branche produziert. Aber dennoch scheinen doch diese Bilder Realität zu sein, und ich persönlich kann dies nicht mit meinem ethischen Verständnis vereinbaren. So darf nicht mit Menschen und Tieren umgegangen werden. Reportagen wie diese werden auch die Verbraucher nicht gleichgültig lassen. Insofern wird sich unsere Branche darauf einstellen müssen, dass in den Geschäften Fragen gestellt werden. Es wird unsere Aufgabe als Verbundgruppe sein, unsere Mitglieds- unternehmen und deren Verkaufspersonal mit den richtigen Antworten zu versorgen. Damit müssen wir uns beschäftigen.”
Fritz Terbuyken, ANWR, stellt fest, dass die Reportage erhebliches Echo bei Verbrauchern auslöste: “Die ZDF-Dokumentation in der Reihe ’37 Grad’ über die Ledergewinnung in Bangladesch hat bei den Verbrauchern die Emotionen hoch schlagen lassen. Dies bestätigen uns unsere Fachhändler. Sie wurden vermehrt von verunsicherten Konsumenten nach der Herkunft der Leder in ihrem Angebot befragt. Unsere Ansprüche an die Arbeitsbedingungen der Menschen, an die Lebensbedingungen der Tiere, an Umweltbedingungen und an Schadstoffbelastungen des Rohstoffs Leder sind mit den geschilderten Bedingungen kaum vereinbar. Als Genossenschaft des Schuhhandels will und muss die ANWR Group und die zur Gruppe gehörenden Handelskooperationen diese Entwicklung im Auge behalten. Dennoch wäre es voreilig, einer konsequenten Europäisierung bei der Ledergewinnung und -verarbeitung das Wort zu reden. Eine Produktion nach unseren Standards würde zumindest regional massive gesellschaftliche Umbrüche zur Folge haben und bestimmte Preislagen für Lederschuhe unmöglich machen. Darüber hinaus könnte die heute gepflegte medienwirksame Skandalisierung der Ledergewinnung in Fernost wie auch in Lateinamerika ernsthafte Barrieren schaffen gegen den Kauf und die Nutzung von Lederschuhen. Dem Schuhhandel und der Markenindustrie muss daher bewusst werden, dass die Beschaffung aus solchen Quellen für die gesamte Branche negative Auswirkungen haben kann und dringend Standards geschaffen werden müssen, damit für den Verbraucher nachvollziehbar wird, für welches Produkt er sich entscheidet.”
Wie problematisch der Spagat für die Industrie ist, einerseits eine “saubere” Produktion sicherzustellen und andererseits die hohe Preissensibilität der Verbraucher zu berücksichtigen, schildert Joachim Stoll, Koffer 24.de:”Ich gehe davon aus, dass uns dieses Thema die nächsten Jahre beschäftigen wird. Der Handel steht in dem Dilemma der hohen Ansprüche der Kunden bei oftmals geringer Preisbereitschaft sowie der häufig nicht nachvollziehbaren Herkunft der Materialien und Vorprodukte sowie der nicht transparenten Fertigungsstandards. Das relativ kleine Marktvolumen der Lederwarenbranche im Vergleich zu Textil und Schuh führt zu einer geringen Kraft, Standards in ausländischen Märkten zu setzen. Dennoch muss sich die Branche aktiv mit diesem Thema auseinandersetzen und positive Beispiele in der eigenen sowie angrenzenden Branchen suchen. Mir fällt auf, dass sich gerade junge Nachwuchskräfte im Handel von hohen ökologischen und sozialen Standards bei ihrem Arbeitsstil leiten lassen. Daher bin ich optimistisch, dass sich neben den Konsumenten auch die Händler und am Ende die gesamte Branche weiterentwickeln.”
Für die Merkur Shoe Group bezieht Geschäftsführer Andreas Kolb Stellung und erklärt, wie intensiv man sich um Material- und Produkttests bemüht. “Der Bericht war erschreckend, aber dies sind leider die Realitäten. Wer ein T-Shirt für 1,99 Euro oder einen Lederschuh für 49,90 Euro kaufen will, der kann keine 100% ethisch ‘saubere’ Produktion erwarten. Das ist eine unangenehme Wahrheit. Aber sie gilt – und das im Übrigen auch quer durch alle Branchen. Dennoch sind wir uns als Merkur Shoe Group unserer Verantwortung sehr bewusst. Für unseren Eigenmarkenbereich bedeutet dies: Wir lassen unsere Produkte schon seit längerem lückenlos testen; nicht nur einzelne Farben, sondern alle Produkte. Unsere Mitgliedsunternehmen stehen schließlich direkt in der Verantwortung dem Kunden gegenüber. Insofern ist uns die Sicherheit, die wir mit umfangreichen Tests erreichen, viel wert und wir investieren erhebliche Beträge in die Verfahren. Wir haben außerdem einen Code of Conduct, an dem wir uns orientieren. Dennoch ist uns auch klar, dass wir eine 100%-Sicherheit nicht herstellen können. Wer betrügen will, der kann auch betrügen. Das große Dilemma besteht natürlich darin, dass der Kunde sehr preissensibel ist. Unsere Verkäuferin muss ihm erklären, warum ein getesteter Schuh bei uns teurer ist als das optisch fast identische, möglicherweise nicht getestete Produkt des Billiganbieters. Aktuell allerdings sind die Verbraucher durchaus sensibilisiert. Gerade bei Fachgeschäften in unserer Gruppe gab es nach der ZDF-Berichterstattung Nachfragen. Kunden wollten gezielt wissen, woher das Leder für bestimmte Schuhe stammt. In Bezug auf unsere Lieferanten müssen wir dann aber letztlich sagen, dass wir nicht über absolut gesicherte Informationen zur Herkunft des Leders verfügen. Kunden sollten sich dann direkt an die Hersteller wenden. Allerdings glaube ich, dass das Gewissen im Allgemeinen nur bis zur Haustüre alamiert ist und beim Shoppen dann doch ausgeschaltet wird. Wir werden das Thema aber in unserer Gruppe weiter diskutieren – auch im Hinblick auf die Frage, ob es unsererseits ein weiteres Einwirken auf die Lieferanten geben kann, um hier noch mehr Sicherheit herzustellen.”
Weitere Statements zur ZDF-Reportage lesen Sie in schuhkurier Ausgabe 42.
Zum ZDF-Film “Gift auf unserer Haut” geht es hier.