Was bedeutet das für die Industrie? Wird es zunehmend Markenstores in den Städten geben?
Die ganze Grundidee einer Lifestyle-Marke from tip to toe, die wir noch vor 15 Jahren diskutiert haben, ist Geschichte. Der Kunde ist besser informiert, auch durch soziale Medien, und er will eher Spezialisten-Marken kaufen; der modeinteressierte Mann vielleicht noch mehr als die Damen. Ich komme doch nicht auf die Idee, mir von einem Herrenschneider Schuhe zu kaufen! Die ganzen Versuche, in andere Produktkategorien zu expandieren, das halte ich für schwierig. Dagegen gibt es coole Läden für Männer, die Marken kuratieren und Stories erzählen. Dafür gibt es einen Markt, wenngleich eher im gehobenen und im Luxus-Segment.
Und wie sieht es in der Mitte aus?
Es kracht im Mittelsegment. Die erste Aufgabe einer Marke ist es, Marke zu sein. Wir müssen uns fragen, wie viele wirkliche Marken es im Mittelpreis-Segment in Deutschland gibt. Der Abstand zum Value-Bereich auf der einen Seite ist nicht mehr groß genug. Auf der anderen Seite haben wir ein Premium-Segment, das noch nicht Luxus ist, in dem wir aber Abverkaufsraten zu vollen Preisen von 50 bis 76% haben. Von unten drückt der Discount-Bereich. Da hat man in der Mitte keinen Spaß.
Wie kann man zur Marke in der Mitte werden?
Die erste Frage lautet: Ist etwas da, das Marke werden kann? Darüber hinaus braucht man ein gutes Produkt, Qualität und Design-Handschrift. Das schafft man nicht über Nacht. Marken der Mittelpreislage gibt es auch in Frankreich und Benelux, in geringem Maß auch in UK. Sie haben überall Probleme. Aber eine gut aufgestellte Marke schafft es eher, auch international zu verkaufen.
Wird das Thema Nachhaltigkeit unterschätzt?
Ja, und mancher hofft sicher auch, dass es nicht noch wichtiger werden wird. Das ist wie in den frühen Tagen des E-Commerce, da dachten auch viele, der Zug könne einfach vorbeirauschen. Es ist ein gesellschaftliches, ein kulturelles Thema. Und es hat durch Corona nochmals an Bedeutung gewonnen. Wir haben gesehen, was alles geht, wenn Politik und Gesellschaft das wollen. Wir konnten einen monatelangen Lockdown bewältigen! Dann können wir auch ein Lieferkettengesetz verabschieden. Nachhaltigkeit, das ist oft ein Verständnisproblem. Haben die Leute verstanden, dass wir nur einen Planeten haben und dass die Mode- und Schuhindustrie einen nicht besonders positiven Abdruck auf dem Planeten hinterlassen? Die Leute müssen Kleidungsstücke einfach länger nutzen. Das zweite ist die Abwägung zwischen dem möglichen Wunsch der Konsumenten und dem wirtschaftlichen Faktor. Hier gibt es einen Wandel. Nicht nur die jüngere Generation, auch die Menschen mittleren Alters achten mehr auf dieses Thema. Die Kinder pushen ihre Eltern. Und die jüngeren kaufen völlig anders an. Das umfasst auch Second Hand. Die Idee von der Kreislaufwirtschaft wird sich weiter fortsetzen.
Was sind die wichtigsten Themen, mit denen sich ein Unternehmen der Fashionbranche auseinandersetzen müssen?
Erst einmal müssen wir die Krise hinter uns bringen. Sie ist erst vorbei, wenn sie vorbei ist. Viele Unternehmen haben aktuell ein Cash-Problem. Und sie müssen die nächste Saison sinnvoll planen. Dann aber kommt: Kein Weg führt an der Digitalisierung vorbei. Plattformen sind eine Realität. Schließlich muss das Thema Marke angegangen werden. Wer sind meine Kunden, wie kann ich relevanter werden, wo positioniere ich mich zwischen Convenience und Experience? Und schließlich kommt das Thema Nachhaltigkeit, dass uns in Zukunft über viele Jahre beschäftigen wird.