Herr Werdich, Sie sind Mitbegründer der Initiative #handelstehtzusammen, die in den letzten Wochen viel Zuspruch erfahren hat. Wie kam es dazu?
Mir ist es wichtig, zu betonen, dass wir grundsätzlich hinter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie stehen. Dabei sollten aber Unternehmen und Arbeitsplätze nicht dauerhaft gefährdet werden. Ich habe schon im Frühjahr an die Minister Altmaier und Scholz geschrieben, um auf die Situation des mittelständischen Einzelhandels aufmerksam zu machen. Ich habe allerdings nur vom Wirtschaftsminister eine Antwort erhalten. Daraufhin habe ich mich im November an unseren Landtagsabgeordneten vor Ort gewandt. Er hat den Kontakt zur baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut hergestellt, die dann zu einem Gespräch eingeladen hat. An diesem habe ich Ende November gemeinsam mit einigen anderen renommierten Händlern – den Initiatoren der #handelstehtzusammen-Kampagne – teilgenommen. Wir haben eine Stunde lang unsere Situation erklärt. Letztendlich hat die Ministerin uns aber signalisiert, dass wir uns an den Bund wenden müssen. Das haben wir nun gemacht.
Wie ging es dann weiter?
Wir sind gut vernetzt und haben zunächst in der Region Oberschwaben für die Idee einer gemeinsamen Aktion geworben. Innerhalb von 24 Stunden haben wir 260 Unterstützer gewinnen können – zusammengefasst in einer Excel-Tabelle. Die regionale Presse wurde auf uns aufmerksam und die Aktion zog weitere Kreise. Wir wollten sie dann weiter professionalisieren und haben die Homepage #handelstehtzusammen aufgebaut. Inzwischen haben mehr als 9.000 Akteure – Unternehmen ebenso wie Privatpersonen – ihre virtuelle Unterschrift geleistet. Allein am 3. Januar kamen 3.000 hinzu. Es ist phänomenal, wie sich unsere Branche hinter das Vorhaben stellt.
Sie fordern entweder die sofortige Wieder-Öffnung des Einzelhandels oder aber eine angemessene Entschädigung. Um welche Hilfen geht es Ihnen konkret?
Wir möchten uns selber helfen. Im Einzelhandel gab es so gut wie keine Infektionen. Und falls eine weitere Schließung unausweichlich ist, fordern wir eine angemessene Entschädigung. Konkret geht es um die November- bzw. Dezemberhilfen sowie um die Überbrückungshilfe III. Mit Blick auf unser Unternehmen kann ich sagen, dass wir bis zum heutigen Tag keinen einzigen Euro Unterstützung erhalten haben – mit Ausnahme des Kurzarbeitergeldes, das wirklich ein Segen ist. Unsere durch die Lockdowns entstandenen Umsatzausfälle wurden in keinster Weise kompensiert. Mit Blick auf KfW-Darlehen fallen wir nicht in die Kategorie der KMU, sondern sind ein größeres Unternehmen. Das bedeutet eine höhere Verzinsung und eine kürzere Zeitspanne für die Rückzahlung. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Wir fühlen uns von der Politik nicht gerecht behandelt.
Welche Maßnahmen soll die Politik ergreifen, um Händler angemessen zu entschädigen?
Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern schließen uns dem Forderungskatalog des HDE und der Landesverbände an. Dieser umfasst beispielsweise Entschädigungen für den Handel analog zu den Zahlungen an die Gastronomie sowie die Aufhebung der Begrenzung bei der Erstattung von Fixkosten. Auch muss zwingend der Zugang zu diesen Hilfen erleichtert werden. Leider hat der Einzelhandel keine starke Lobby. Auch darum wollen wir uns Gehör verschaffen und damit die Arbeit unserer Verbände stärken. Uns fehlt die langfristige Perspektive der Politik. Dass eine zweite Welle kommen würde, war bekannt. Trotzdem war man schlecht vorbereitet. Vieles passiert sehr kurzfristig und basiert auf Einschüchterung der Verbraucher.
Nehmen wir einmal an, die Läden dürften zeitnah wieder öffnen, alle weiteren Kontaktbeschränkungen blieben aber bestehen. Dann hätten Sie Ihr Personal auf der Fläche – und trotzdem wahrscheinlich kaum Frequenz. Ist das besser als die Komplettschließung?
Natürlich wirken sich verordnete Kontaktbeschränkungen auf das Verbraucherverhalten aus – ebenso wie die öffentliche Diskussion. Wir hatten uns im Sommer Stück für Stück aus dem Tief herausgearbeitet. Der Oktober fing sehr positiv an. Aber dann begannen die Spekulationen über einen möglichen weiteren Lockdown. Das haben wir sofort gespürt. Wir möchten trotzdem öffnen können, um unsere Situation auch selbst gestalten zu können. Man muss dann über die Kompensation der zu erwartenden Umsatzrückgänge sprechen. Aber das ist doch immer noch besser, als Null-Umsätze zu entschädigen. Drogerien konnten Spielwaren verkaufen und Supermärkte Textilien. Warum also sollen nicht auch Modehändler, Schuhhändler und Parfümerien öffnen?
Man spürt, dass die Menschen raus wollen. Ich kann das gut nachvollziehen. Und Einkaufen ist eine Möglichkeit der Freizeitgestaltung.
Zur Initiative #handelstehtzusammen gibt es auch Kritik: Es werde nur gefordert und gejammert statt sich aktiv und kreativ der Situation zu stellen. Was entgegnen Sie einem solchen Einwand?
Ich finde, dass der Mittelstand nur sehr wenige Möglichkeiten hat, die Situation positiv zu beeinflussen. Wir haben Mitarbeiter, die bezahlt werden wollen, und Vertragspartner, denen wir Rechnung tragen müssen. Wir jammern nicht. Wir fürchten nur, dass die Ressourcen vieler mittelständischer Händler nach zwei Shutdowns unverschuldet aufgebraucht sein werden. Und daher sind sie auf Hilfe angewiesen.
Viele Händler haben spätestens mit dem Lockdown den Online-Verkauf auch über Plattformen gestartet. Man könnte argumentieren, dass man auf diese Weise trotz Lockdown Umsätze generieren kann…
Unser Unternehmen spricht seit dem Frühjahr mit den Vermietern. Deren Bereitschaft, dem Handel entgegenzukommen, ist in den zurückliegenden drei Wochen deutlich gestiegen. Trotzdem hört man auch immer wieder: „Sie haben einen Onlineshop, dort verkaufen Sie doch Schuhe.“ Das stimmt, aber was kommt betriebswirtschaftlich konkret dabei heraus? Nur die internationalen Konzerne verdienen wirklich Geld im Onlinehandel. Auch wir haben zweistellige Wachstumsraten online, aber der Anteil des Onlineshops am Gesamtumsatz liegt bei ca. 5%. Und als vorwiegend stationäre Händler wollen wir den Kontakt zu unseren Kunden behalten. Das ist uns ungemein wichtig! Die Politik muss sich überlegen, wie es um das Kulturgut Innenstadt bestellt ist, wenn viele Händler nicht mehr da sind.
Sie können derzeit Ihre Ware nicht oder nur in geringem Maß verkaufen. Die Frühjahrsware trifft jetzt ein. Und die Order für H/W 2021/22 steht an. Wie gehen Sie vor?
Wenn ich mir anschaue, was wir an Umsatz verloren haben – etwa 25% –, bin ich mit unserem Warenbestand zufrieden. Das sieht besser aus, als wir es befürchtet hatten. Wir haben bereits im Frühjahr modische Modelle konsequent reduziert und alle anderen Schuhthemen in das Limit eingerechnet. Das gleiche werden wir mit Blick auf H/W 2021/22 tun. Es tut mir sehr leid, dass wir damit unser Problem auch an die Industrie weitergeben.
Wie werden Sie konkret die Order für die Wintersaison gestalten?
Wir freuen uns, dass wir enger mit der Merkur zusammenarbeiten und gemeinsam mit den Kollegen in Bretzenheim disponieren werden. Wir gehen davon aus, dass Orderveranstaltungen mit ausgefeilten Hygienekonzepten möglich sein werden. Darüber hinaus sind für uns die Orderzentren München, Sindelfingen und Mainhausen wichtig. Schmerzlich fehlen uns Messen wie die Expo Riva Schuh und die Micam. Natürlich lässt sich einiges über Zoom oder Teams lösen; das bezieht sich aber auf Ware, die bekannt ist, und bei der es um weitere Farben oder Varianten geht. Bei modischer Ware funktionieren diese Tools meiner Ansicht nach nicht.
Wie geht es für Ihr Aktionsbündnis in den kommenden Monaten weiter?
Wir möchten je nach den Ergebnissen des Corona-Gipfels am 5. Januar einen Forderungskatalog für den mittelständischen Handel aufstellen. Dieser soll im wesentlichen die Arbeit unserer Einzelhandelsverbände flankieren und unterstützen. Mit dem Wind von – vermutlich – 10.000 Unterstützern im Rücken, wovon die Hälfte Unternehmen sind, werden wir proaktiv auf die Medien und die Entscheider zugehen. Wir hoffen, dass damit der Einzelhandel ein Gesicht und –mit Unterstützung der Verbände – eine Lobby erhält.
Ich bin im übrigen grundsätzlich positiv gestimmt. Meiner Meinung nach wird der jetzt zur Verfügung stehende Impfstoff noch zu wenig hervorgehoben. Das Ende der Maßnahmen ist damit am Horizont sichtbar. Ich bin auch davon überzeugt, dass viele Menschen nach den Entbehrungen durch die Pandemie Lust darauf haben werden, Dinge nachzuholen. Und der Winter ist irgendwann vorbei. Im übrigen können wir sehr dankbar sein, dass wir in Europa und insbesondere in Deutschland in einer insgesamt sehr komfortablen Situation sind. Trotz aller Schwierigkeiten.