Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), formulierte zum Einstieg seine Gedanken über die Kunden in einer digitalen Welt. Ein kurzer Blick auf die Zahlen: Das Online-Geschäft prägt mit einem Plus von 10% weiterhin die Entwicklung des Handels. Rund die Hälfte des Online-Umsatzes läuft über Amazon und davon wiederum die Hälfte über den Marktplatz. Dort ist auch der stationäre Handel inzwischen stark vertreten.
Zu den technologischen Treibern gehöre die künstliche Intelligenz (KI), führte Genth aus. Sie revolutioniere die Prozesse im Hintergrund, wie den Kundenservice oder die Logistik, aber auch das Kundenerlebnis durch Convenience und Emotionalität: „KI bietet sehr breite Einsatzmöglichkeiten.“ Für kleinere Händler sei es eine sehr große Herausforderung mit der Entwicklung Schritt zu halten und Konzepte zu finden.
Genth fordert einen Ordnungsrahmen für die digitale Welt. Vor allem unter dem Stichwort ’Corporate Digital Responsibility‘ könne sich der deutsche Handel profilieren, da die Kunden ihm vertrauten. „Aber dafür brauchen wir eine Digitalstrategie der Regierung und digitale Freiräume.“ Die DSGVO und die E-Privacy-Verordnung wiesen in die falsche Richtung.
Der Handel brauche verstärkt digital kompetente Fachkräfte. Das unterstreicht die Einführung der Ausbildung zum E-Commerce-Kaufmann. Im kommenden Jahr will der HDE außerdem eine Kampagne für Ausbildung im Handel starten, um die Spitzenposition zu halten. Ein Argument: „Wir bieten Karrierechancen, die verglichen mit anderen Branchen ohnegleichen sind“, so Genth.
Künstliche Intelligenz als „hervorragendes Assistenzsystem“
„Künstliche Intelligenz übernimmt nichts“, stellte Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, unmissverständlich klar. Ziel sei es, menschliche Fähigkeiten zu verbessern. KI sei ein „hervorragendes Assistenzsystem“ für die Menschen. „Wir haben die Ideen, die Imagination.“
Bendiek erklärte anhand einiger Fallbeispiele, wie vielfältig KI heute schon eingesetzt wird. Walmart zum Beispiel arbeitet mit Microsoft strategisch zusammen und entwickelt eine ’Cloud Factory‘, um Prozesse zu optimieren und Kosten zu sparen etwa beim Gebäudemanagement. Ganz anders die Ziele des amerikanischen Baumarkts Lowe’s: Hier steht eine bessere Beratung im Vordergrund. Kunden markieren bei Pinterest Küchen, die ihnen gefallen. KI analysiert die Fotoauswahl nach Mustern und schlägt eine entsprechende Küche vor. Über diese wird dann mit einem Berater gesprochen. Saturn wiederum eröffnete vor kurzem den ersten kassenlosen Elektronikmarkt unter dem Namen ’Saturn Express‘. Bendieks Fazit: „KI unterstützt uns. Es ist nichts, was wir Ihnen als Technologiekonzern überstülpen.“
Deutliche Worte wählte Stefan Wenzel, Ex-Chef von Ebay Deutschland und seit kurzem für das Digitalgeschäft bei Tom Tailor verantwortlich, in der Diskussion. Er spricht von einem „fundamentalen Wandel“ durch den Einzug der KI im Handel. Denn selbst bei führenden Online-Händlern funktioniere das Kuratieren von Sortimenten für Kunden bisher nur „vorsintflutlich“. Das zeigten ein Blick in den eigenen Kleiderschrank und der Vergleich mit den Artikelvorschlägen der Online-Shops. In den meisten Firmen werde heute zudem noch mit „Excel-Friedhöfen“ hantiert. KI werde in den nächsten Jahren daher einen ähnlichen „Tsunami“ im Handel auslösen wie der E-Commerce vor einigen Jahren. Mit KI wolle Tom Tailor „viel näher“ an die Trends auf der Straße und diese mit dem notwendigen Deckungsbeitrag umsetzen. Damit die Digitalstrategie aufgeht, müsse die entsprechende Kompetenz „ganz oben“ in den Unternehmen verankert sein.