War Corona für den Onlinehandel ein „Geschenk des Himmels“?
Nein, gar nicht. Klar: Es gab mehr Umsätze. Nur niemand hat etwas davon, wenn es weniger Händler gibt, die Innenstädte veröden und wir Händler Überbrückungshilfen benötigen. Die Pandemie ist kein Geschenk, sondern ein Problem für alle. Ich glaube zudem nicht, dass sie große dauerhafte Effekte haben wird. Das sieht man am Beispiel von einigen asiatischen Ländern, die die Krise bereits weitgehend hinter sich gelassen haben. Dort ist der Handel im Grunde wieder auf das Vor-Krisen-Niveau zurückgekehrt. Insofern gibt es hierzulande eher kurzfristige Auswirkungen, die zu einer verstärkten Online-Nachfrage geführt haben.
Sie gehen also davon aus, dass der Marktanteil des Onlinehandel wieder sinken wird?
Rein statistisch steigt der Onlineanteil seit Jahren, das ist klar. Und Corona hat diese Entwicklung sicher beschleunigt, auch mehr Ältere kaufen online. Ich bin mir aber sicher, dass sich im kommenden Jahr vieles wieder normalisiert haben wird. Und wir müssen berücksichtigen, dass der Anteil der stationären Händler, die auch online aktiv sind, stetig steigt. Die Händler partizipieren demnach stärker als noch vor zwei Jahren an den Online-Umsätzen.
Wie wird Corona das Gesicht des Handels verändern?
Die Krise trifft den Handel, die Industrie und die Verbundgruppen. Ich bin sicher, dass wir noch zahlreiche Pleiten erleben werden. Sehr stark betroffen sind außerdem die Einkaufscenter. Es wird einige Center geben, in denen die Hälfte der Stores dauerhaft geschlossen bleiben werden. Die Center-Betreiber müssen sich Gedanken machen, ob sie diese Geschäfte umwidmen und als Büroflächen nutzen.
Muss sich auch der Handel neu erfinden?
Ja, ganz sicher. Der Einzelhändler arbeitet im Grunde seit über 100 Jahren nach dem gleichen Prinzip: Es gibt einen Laden mit einem Schaufenster, an dem die Kunden mehr oder weniger zwangsläufig vorbeikommen. Die Ware kauft er vorab ein, im Laden berät er den Kunden. Frequenz wurde lange Zeit schlicht vorausgesetzt. Heute muss der Handel darum kämpfen, dass die Menschen runter vom Sofa und wieder rein in die Städte und Geschäfte kommen. Das setzt allerdings voraus, dass man über Kundendaten verfügt. Wie heißen die Kunden, wie lauten ihre Handynummern und die Email-Adressen? 99% der Händler haben diese Daten nicht. Und das ist bitter, weil die Onliner diese Daten und noch viel mehr haben und damit arbeiten. Die Frequenz in den Innenstädten geht generell zurück und das führt dazu, dass man sich viel stärker um die Kunden kümmern und um sie kämpfen muss.
War das aber nicht auch schon vor Corona der Fall? Das Thema Daten beschäftigt die Branche doch seit Jahren…
In der Schuhbranche wurde vieles diskutiert, aber wenig umgesetzt. Es ist eine einfache Frage, die der Handel beantworten muss: Kennst du die Daten deiner Kunden? Das ist in den meisten stationären Unternehmen eben nicht der Fall. Der Händler braucht Kundendaten und muss diese für gutes Marketing nutzen. Diese Kompetenz war in der Vergangenheit gar nicht gefragt. Da hieß es: Der Kunde kommt eh. Heute kommt er aber nicht mehr und wir müssen uns um ihn bemühen. Zu den Aufgaben eines Händlers gehörten in der Vergangenheit meist der Einkauf, das Personal und der Ladenbau. Nun kommt ein ganz neues Aufgabengebiet hinzu: Wie erstelle ich automatisierte Emails oder betreibe Whatsapp-Marketing? Das sind völlig neue Herausforderungen.
In Ihren Läden sammeln Sie Daten?
Wir haben es auch jahrelang verpennt. Lange Zeit haben wir nur Adressen erfasst und zweimal im Jahr ein Mailing per Post versendet. Das bringt uns heute nicht mehr weiter. Wir benötigen möglichst viele digitalen Daten, um die Kunden wieder in die Läden zu locken. Mittlerweile liegt unsere Erfassungsquote bei 82% – das ist nicht schlecht.
Wer könnte den Handel bei dieser Aufgabe unterstützen?
Am Ende des Tages muss der Händler selbst aktiv werden. Man kann nicht die Verantwortung an andere abgeben, sondern muss als Unternehmer selbstständig handeln. Es gibt in jeder Stadt eine Marketing-Agentur, die ein Konzept entwickeln und sich auch um die Technik kümmern kann. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern nur das einsetzen, was in anderen Branchen seit Jahren Standard ist.
Was muss der Handel in Zukunft darüber hinaus leisten?
Ich befasse mich aktuell intensiv mit der Apotheken-Branche und habe festgestellt, dass fast 90% aller stationären Apotheken einen Lieferservice anbieten. Hier hat eine Branche erkannt, dass sie nicht mehr allein auf das Kundenaufkommen zählen kann. Apotheker sind grundsätzlich nicht innovationsfreudig und eher internetfeindlich, aber trotzdem haben sie das Thema Same-Day-Delivery verstanden. Der Logistik- und Arbeitsaufwand ist hoch und das zerstört Margen. Aber mittlerweile erwarten viele Kunden eine Belieferung und das Thema wird daher garantiert auch auf den Schuhhandel zukommen. Das zeigt auch das Beispiel Gorillas. Dieses Start-Up bietet z.B. in Berlin und Düsseldorf an, innerhalb von 10 Minuten Speisen und Getränke an jeden beliebigen Ort in der Stadt zu liefern. Same-Day-Delivery ist ein Game-Changer, der nicht unterschätzt werden sollte. Das gilt nicht nur für unsere Branche, sondern vor allem auch für den Lebensmittelhandel. Ich bin gespannt, wie viele LEH-Standorte es in zehn Jahren noch geben wird.