schuhkurier: Herr Stolitzka, wie erleben Sie die Situation in der aktuellen Corona-Krise?
Stefan Stolitzka: Offen gesagt surreal, aber die Realität holt einen zehnmal pro Tag ein, mindestens. Wir versuchen an erster Stelle das Beste, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Familien und unsere Kunden zu schützen und zu unterstützen. Unternehmerisch fahren wir einerseits auf Sicht; dabei wird eine erwartete Linkskurve oftmals zur überraschenden Rechtskurve. Andererseits versuchen wir mehrere Szenarien aufzustellen, wie ein Danach aussehen könnte, um die jeweiligen Auswirkungen für Legero United zu beurteilen.
In Österreich hat die Regierung schon sehr früh „hart durchgegriffen“. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Wir können trotzdem weiterarbeiten, zu 90% durch Nutzung des Home Office. Für die wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen haben wir höchste Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt. Die Schließung der Handelsgeschäfte hat uns unmittelbar und 1:1 getroffen, da unser Geschäftsmodell auf bis zu 35% Nachorderanteil aufbaut. Das galt dann im besonderen Maße für Deutschland, unserem Hauptmarkt.
Was bereitet Ihnen die größten Sorgen aktuell?
Die Politik hört ausschließlich auf Experten aus dem medizinischen Bereich, Virologen und Mathematiker. Wirtschaftsexperten sind wenig gefragt oder auf Regierungslinie. Ich ahne, dass keiner eine Idee davon hat, welche wirtschaftlichen Folgen bereits jetzt eingetreten sind. Ohne irgendeinen Vergleich in der Weltgeschichte. Die größte Sorge bereitet mir die massiv aufkommende Angst der Menschen um Ihre Zukunft.
Und wo sehen Sie möglicherweise Chancen?
Es wird wieder mehr gemeinschaftliche Unterstützung geben, so hoffe ich. Lokales wird Gewicht bekommen, das Thema Nachhaltigkeit wird substantieller gelebt werden, etwa die Frage: Was und wieviel brauche ich eigentlich wovon? Prozesse, Meeting und Strukturen werden dank erhöhtem Einsatz der digitalen Angebote wesentlich effizienter werden.
Was macht diese Krise mit unserer Gesellschaft?
Das wird von der Arbeitslosenquote abhängen…schwer zu sagen. Es wird viel mehr Angst in der Gesellschaft sein. Das Grundvertrauen in Ansprüche an unsere Wohlstandsgesellschaft, etwa bezüglich medizinischer Versorgung, Altersversorgung, Ausbildung, wird verloren gehen. Im guten Fall entstehen mehr Hilfsbereitschaft und bewussterer Konsum.
…und was macht sie mit der Branche?
Tja, wenn ich das nur jetzt schon wüsste. Das Onlinebusiness und der Diskontbereich werden wohl profitieren. Daneben ist eine drastische Marktbereinigung zu erwarten. Dies auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette der Schuhbranche, von der Industrie und deren Partnern bis zum Handel. Im Sinne des vorherigen Punktes könnten Fachhändler, die ein nachhaltiges Angebot und hervorragende Beratung unter Nutzung aller möglichen Off- und Online-Kanäle bieten, die besten Chancen haben.
Die engste Vernetzung zu den Herstellern wird entscheidend sein: gemeinsame Lagerbewirtschaftung, Logistik, Versand, Sicherstellung der Verfügbarkeit der Schuhe, wenn die Kundin diese wünscht, gemeinsame Marketingmaßnahmen ohne Streuverluste und vieles mehr. Grundsätzlich bin ich da sehr zuversichtlich.