Frau Indra-Heide, wie würden Sie einen Bequemschuh definieren?
Marga Indra-Heide: Früher galt in der Regel: Bequem war, was nicht unbedingt modisch war. Der Bequemschuh zeichnete sich durch eine komfortablere Innenausstattung aus, war zumeist weiter und farblich eher zurückhaltend. Der modische Schuh hingegen kam schlanker und eleganter daher – und war dadurch meist auch unbequemer. Da war eine scharf trennende Definition einfach. Heute verschwimmen die Grenzen. Auch der trendige Schuh sollte nicht mehr auf Komfort verzichten und der Komfortschuh muss modisch sein, um die hohen Ansprüche der Kundinnen und Kunden zu erfüllen.
Also drängt sich hier die provozierende Frage auf: Hat ein Bequemschuhsymposium überhaupt noch eine Existenzberechtigung?
Es ist wichtig, dass sich die Branche über die Entwicklungen im Bequemschuhbereich und die Auflösung der Grenzen zwischen Komfort und Mode verständigt. Das Symposium bietet dafür einen idealen Rahmen, denn hier tauschen sich Industrie und Handel aus. Viele Marken und Händler sind auf diesen Bereich spezialisiert und müssen sich zwingend den neuen Herausforderungen der Branche stellen. Dazu gehört das veränderte Konsumentenverhalten einer Generation, die eine komplett andere Ansprache erwartet. Denn: Welche Kundin fühlt sich schon angesprochen, wenn das Wort „Bequemschuhe“ an einem Schaufenster prangt?
Mit dem Begriff Bequemschuh-Kundin wird noch oft die ältere, komplett in Beige gekleidete Dame assoziiert. Ist das überhaupt noch zutreffend?
Sicher gibt es diese Kundinnen und Kunden vereinzelt noch. Aber tendenziell wird das Thema Komfort komplett anders bewertet – und das generationsübergreifend. Komfort muss heute selbstverständlich ohne als solcher erkennbar zu sein. Schauen Sie sich den Sneaker an, den Bequemschuh schlechthin. Es gibt keinen Jahrgang, der darauf verzichtet. Er bildet eine immer größer werdende Schnittmenge zwischen den Generationen und auch zwischen den Geschlechtern.
Aber wenn wir davon ausgehen können, dass Sneaker bei allen vom Roller- bis zum Rollator-Fahrer gleichermaßen beliebt sind, warum haben Sie da auf dem vergangenen Bequemschuhsymposium so leidenschaftlich dafür plädiert, die Mode-Lebensläufe der reiferen Generation ins Auge zu fassen?
Weil die Generation der sogenannten Best-Ager tatsächlich oft vernachlässigt wird. Bei Menschen ab 60 wachsen die Komfort-Ansprüche allein schon durch die körperlichen Veränderungen. Dabei schrumpfen ihre modischen Ansprüche aber nicht. Mehr noch: Eine 70- oder 80-Jährige ist heute viel modebewusster als es vor etwa 20 Jahren der Fall war. Diese Kundinnen sind zum einen viel informierter sowie geistig und körperlich fitter als ihre Vorgeneration – und möchten das auch modisch ausdrücken. Hinzu kommt: Diese Kundinnen haben damals die Eleganz der Nachkriegszeit revolu-
tioniert, indem sie für den Minirock gekämpft und als Hippie modische Freiheit genossen haben. Für sie waren provokative Kleidungsstücke ein politisches Statement. Sie tragen trotz eventueller Fußprobleme noch Flower-Power in sich und haben keine Angst vor Mustern und Farbe. Sie lieben lässige Hosen – und vor allem Sneaker. Aber das behalten weder die Produzenten noch die Händler genügend im Blick. Mode kennt heute kein Alter mehr!
Was mehr als das passende Sortiment muss der Handel auf die Beine stellen, um mit der immer weiter wachsenden Gruppe der Best-Ager in Kontakt zu kommen?
Nicht anders als die Millennials muss er sie in ihrer Lebenswelt abholen. Verstehen, was ihnen wichtig ist. Meistens sind das vor allem Familie, Reisen, Sport und Gesundheit. Wenn ich sie also in mein Geschäft locken will, könnten das wichtige Ankerpunkte sein, um für Emotionen auf der Fläche zu sorgen. Es gibt viele Beispiele, wie mit wenig Aufwand eine maximale Wirkung im Geschäft erzielt werden kann. Ein schweizer Händler etwa bietet seit vielen Saisons die Bemalung von Gummistiefeln als Oma-und-Enkel-Aktion im Geschäft an – mit großem Erfolg! Ein anderer kooperiert mit einem benachbarten Reisebüro und präsentiert seine Wanderschuhe gemeinsam mit Reiseangeboten. Beliebt sind auch Fotoaktionen, bei denen etwa Kundinnen und Kunden im Geschäft gekaufte Schuhen unterwegs oder auf Reisen abgelichtet haben. Wichtig ist es heutzutage, nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern Kundinnen und Kunden auch einzubeziehen. Es darf nicht ausschließlich um Schuhe gehen, sondern um ein ganzes Lebensgefühl. Das Schuhgeschäft muss wieder zum Ort der Begegnung werden.