Deutschland im Lockdown. Zum zweiten Mal wird im November das öffentliche Leben heruntergefahren, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu bremsen. Im Gegensatz zum ersten Lockdown im Frühjahr gibt es jedoch einen großen Unterschied: Der gesamte Einzelhandel darf weiterhin geöffnet bleiben. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass der Handel sorgenfrei in den November startet. Im Gegenteil. Die Furcht vor einem Rückschlag ist groß. In den vergangenen Monaten konnte sich der Schuhhandel Stück für Stück wieder an die Umsätze des Vorjahres heranarbeiten. Diese Aufholjagd dürfte in den nächsten Wochen vermutlich weitgehend zum Erliegen kommen, wenn die Frequenz in den Innenstädten im Zuge der Maßnahmen zurückgeht. Bevor die Bundesregierung im Zusammenspiel mit den Ministerpräsidenten einen zweiten Lockdown beschloss, hat schuhkurier eine Umfrage im Schuhhandel durchgeführt. Die Mehrheit der Befragten rechnete vor den Berliner Beschlüssen mit einem Umsatzrückgang für 2020 im Bereich zwischen 10 und 20%. Viele merkten jedoch ergänzend an, dass diese Prognose nur gelte, „wenn nicht neue Einschränkungen kommen.“ Wie sich die Umsätze bis Jahresende entwickeln, ist daher aktuell reine Spekulation.
Seit Beginn der Corona-Krise in Deutschland ist die Frequenz in den meisten Städten zurückgegangen. Betroffen sind jedoch vor allem Shopping-Center und die Fußgängerzonen von Großstädten. „Je höher der Anteil an Touristen und an internationalem Publikum ist, umso höher ist der Frequenzverlust. Die Spanne dabei geht von nur ein paar wenigen Prozentpunkten bis hin zu 50% weniger Besuchern“, sagt Ingo Hänel vom Schuhhaus Beck in Römerstein. Vor allem Standorte in Klein- und Mittelstädten haben vergleichsweise gut abgeschnitten. Hier habe es „teilweise keine Frequenzrückgänge“ gegeben, berichtet Wigand Sauer vom Schuhhaus Pettrup aus Westfalen. Das bestätigt Schuhhändler Ulrich Prange aus Arnsberg. „Erstmals in meiner beruflichen Laufbahn seit 1967 fahren die Bewohner am Wochenende nicht mehr in die benachbarten Städte, sondern bleiben bei uns im Ort.“ Seit der Wiedereröffnung des Einzelhandels im April habe er daher monatlich ein Plus erarbeiten können, so Prange. Im September sei das Minus aus der Phase des ersten Lockdowns ausgeglichen gewesen.
Viele Unternehmer haben in den zurückliegenden Monaten online deutliche Umsatzsteigerungen erzielen können. „Über schuhe.de sind die Umsätze in den letzten Wochen sehr stark gestiegen, um bis zu 30%“, erklärt Frank Beckmann aus Bochum. Seit einigen Wochen verkaufe er auch direkt über Zalando, „mit erfreulichen Umsätzen.“ Kay Zimmer von Schuhplus berichtet, dass die Corona-Krise zunächst auch online eine „Schockstarre ausgelöst habe“, so dass auch hier die Umsätze um 50% eingebrochen seien. „Seit Juni ist die Performance wieder auf Vorjahresniveau, verbunden mit einem Wachstum von rund 10% im Vergleich zu 2019“, so Zimmer. Das Wachstum bei Amazon liege auf vergleichbarem Niveau.
Wie kaufen die Menschen unter Corona ein?
Das Einkaufsverhalten der Kunden hat sich im Zuge der Corona-Pandemie deutlich verändert. Das haben die meisten Schuhhändler festgestellt. „Es wird mehr nach Bedarf gekauft“, hat etwa Wigand Sauer beobachtet. Zudem fehle oftmals die „Lust am zweiten Paar“. Spontankäufe seien daher seltener geworden. Diesen Eindruck teilt Ulrich Rau, Schuhhändler aus Gerstetten. „Die Nachfrage ist gezielter, der Verkaufsvorgang fällt konzentrierter aus.“ Ingo Hänel hat in den vergangenen Wochen jedoch eine Veränderung des Kaufverhaltens registriert. „In den Monaten März bis September haben die Kunden fast nur ihren Bedarf gedeckt, Spontankäufe blieben nahezu aus. Mit dem Wetterumschwung Ende September allerdings haben wir wieder eine erfreulichere Erfahrung gemacht: Ein tolles Sortiment kann die Verbraucher wieder begeistern und auch zu ungeplanten Käufen inspirieren. Das war nach langer Zeit mal wieder ein sehr gutes Gefühl und hat einfach gut getan. Das bestärkt uns als Unternehmer auch in unserer Ausrichtung, im Konzept und auch im Einkauf.“
Die Ausweitung von Home Office und der Wegfall vieler Anlässe haben sich deutlich auf die Nachfrage ausgewirkt. Mehr denn je standen in den vergangenen Monaten sportive Schuhe im Fokus der Kundinnen und Kunden. Dagegen hatten es Businessschuhe und elegante Modelle besonders schwer. „Wir stellen bei Schuhplus eine markante qualitative Veränderung der Nachfrage fest. Pumps bei Damen sowie klassische Herrenhalbschuhe, die traditionell für festliche Anlässe erworben werden, avancieren zum Ladenhüter, da schlichtweg aufgrund von Kontaktsperren Feierlichkeiten ausfallen. Wir beobachten im Webshop sowie in unseren Stores dagegen eine Verschiebung auf die Schuharten Sneaker bei den Herren sowie Stiefeletten bei den Damen“, sagt Georg Mahn, der Schuhplus gemeinsam mit Kay Zimmer leitet. Es werde deutlich sportiver eingekauft, bestätigt Ulrich Rau, der zudem festgestellt hat, dass die Kunden bereit seien, für Freizeitschuhe mehr Geld auszugeben als für „brown shoes“.
Die Einhaltung der geltenden Hygienerichtlinien wie etwa die Maskenpflicht bereitet den Handel überwiegend keine Probleme. So sagt Kay Zimmer, dass Maskenpflicht und Hygieneregel zum gelernten Alltag geworden seien. „Bis auf Ausnahmen funktioniert die Einhaltung der Regeln gut“, berichtet Ulrich Prange. Wenn es einmal Probleme mit einem Kunden gebe, würden die Mitarbeiter sehr freundlich auf die Maskenpflicht hinweisen. „Bis vor Kurzem hätte ich geantwortet, dass die Hygieneregeln im Grundsatz kein Problem sind, auch wenn die Menschen immer mal wieder nachlässig werden“, so Wigand Sauer. Zuletzt sei allerdings eine deutliche „Corona-Müdigkeit“ zu spüren gewesen, die Aggressivität steige. „Ich habe das Gefühl, dass die Bevölkerung mittlerweile am Rande der Belastbarkeit ist.“
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