„Wir müssen alle Geld verdienen“
Roundtable zwischen Handel und Industrie
- 08.12.2022
- Petra Steinke
- 15 Minuten
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Roundtable zwischen Handel und Industrie
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Headerfoto: Auf schuhkurier-Einladung trafen sich Vertreter aus Industrie und Handel zum ergebnisoffenen Austausch. (Foto: Leon Spanier)
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Friedrich Werdich: Wir haben aktuell ein Nachfrage- und ein Kostenproblem. Die Kosten können wir kurz- und mittelfristig nicht signifikant anpassen. Daher sind wir darauf angewiesen, mit unseren ausgewählten Produkten und Services Begehrlichkeit bei den Kunden zu wecken und einen Mehrwert zu bieten.
Britta Goertz: Neben dem Ziel, viele Schuhe profitabel zu verkaufen, geht es auch um Qualität. Der Strauß der notwendigen Handlungen ist für mich so breit und vielfältig wie die Gesellschaft. Die Probleme, die gerade aufeinandertreffen, sind mannigfaltig – ebenso wie die Möglichkeiten, die wir haben. Wir müssen weg von dem Denken, dass es nur einen Weg gibt. Jeder Lieferant und auch wir Händler müssen uns ganz genau überlegen, wo wir positioniert sind. Wenn das Thema die Qualität der Schuhe ist – das ist für mich mit meinem kleinen Unternehmen ein ganz wichtiger Ansatzpunkt –, dann muss ich mit all meiner Kraft versuchen, die Qualität meines Produktes und meiner Beratung in den Fokus zu stellen. Das kann für ein viel breiter und größer aufgestelltes Unternehmen im unteren Preisbereich ein anderer Strauß der Möglichkeiten sein. Ich stelle die Beratung in den Mittelpunkt, denn das kann ein Onliner so nicht. Einfach nur Masse verkaufen kann ich an meinem Standort auch nicht. Es kann nur die Qualität und die Wertigkeit meines gesamten Angebots sein, die die Kunden zu uns bringt.
Britta Goertz: Richtig. Und ich bin überzeugt, dass das nicht nur für die Händler wichtig ist. Auch die Lieferanten müssen sich ganz genau überlegen, wer die Kunden sind, mit denen sie zusammenarbeiten möchten. Der dritte Punkt ist: Wenn ich meine Stil- oder Zielgruppe gefunden habe, muss ich mir überlegen, was diese braucht, um sich von mir begeistern zu lassen. Das gilt auch für Lieferanten. Wenn sie einen Kundenzweig gefunden haben, den sie bedienen wollen, müssen sie sich überlegen, was diese Händler brauchen. Beide Seiten müssen schauen, was sie zu einer funktionierenden Zusammenarbeit beitragen können.
Mathias Ledermann: Ich bin erst einmal froh, dass es uns gelungen ist, dass wir hier an einem Tisch sitzen und wieder miteinander reden. Das ist während der Corona-Pandemie leider verloren gegangen. Es hat mich auch sehr gefreut, dass ich im Sommer die Gelegenheit hatte, dem schuhkurier ein Interview zu geben. Damit haben wir gemeinsam eine Diskussion angeschoben, die in diesen herausfordernden Zeiten notwendig ist. Der Markt ist sehr heterogen. Für uns mit unserem großen Angebot ist es schwierig, die Rentabilität darzustellen und die notwendigen Roherträge zu erreichen, vor allem in Bezug auf die wesentlich erhöhten Kosten. Das war früher einfacher.
Britta Goertz: Die Schwierigkeit der Roherträge unterscheidet uns nicht. Das hat mit der Größe nichts zu tun. Wenn wir aber von Zusammenarbeit sprechen, ist es nicht sinnvoll, zu sagen: Hier ist ein Service für alle, nehmt oder nehmt nicht. Man muss immer überlegen, welche Serviceleistungen sind für welche Kunden die richtigen? Und welches Belohnungskonzept ist richtig? Ich kann nicht in einem Delikatessengeschäft Masse belohnen. Es geht darum, herauszufinden, welches Handwerkszeug ein Händler vom Lieferanten benötigt, um die Positionierung des Geschäfts und der Marke richtig darstellen zu können. Da sehe ich ganz viele Möglichkeiten, die einfach nicht wahrgenommen werden. Belohnungssysteme, die auf Qualität, Wertigkeit oder Nachhaltigkeit ausgelegt sind gibt es so gut wie nicht, Masse ist meist die Maßgabe.
Kresimir Zovak: Wir haben das Masse-Belohnungssystem vor einem Jahr abgeschafft. Es gab seinerzeit Früheinteiler-Programme, bei denen es über die Menge Rabatte gab. Wer die größte Menge bestellt hat, bekam den größten Nachlass. Davon haben wir uns verabschiedet. Wir haben uns stattdessen entschieden, die Rabatte lieber auf Kunden zu verteilen, die sich mit unserer Marke beschäftigen. Wir haben Programme eingeführt, bei denen es auch Rabatte für Social Media-Engagement gibt. Wer sechs Posts pro Saison macht, bekommt einen Zusatz-Rabatt. Kunden können also höhere Rabatte bekommen, wenn sie an unseren Programmen teilnehmen, auch wenn sie weniger Menge kaufen als Kunden, die nicht teilnehmen. Wir glauben, dass die Zeiten vorbei sind, in denen es rein um das Belohnen von Menge ging. Uns geht es darum, unsere Marke besser im Markt zu positionieren und eine echte Partnerschaft zum Kunden aufzubauen. Dieser muss sich für die Konditionen, die er bekommt, zu unserer Marke committen.
„Ich sehe eine Tendenz, dass über Vertriebsrichtlinien und Verknappung am Markt Händler von Teilen der Industrie aussortiert werden.“
Ingo Hänel|Geschäftsführer Schuh Beck
Ingo Hänel: Ich möchte gern einhaken beim Statement, es werde überall nur auf Masse gesetzt und nicht auf Qualität. Ich sehe durchaus eine gegenteilige Tendenz, nämlich dass über Vertriebsrichtlinien und Verknappung am Markt die Händler von Teilen der Industrie aussortiert werden.
Sicher, ein Teil der Lieferanten setzt auf Masse und verkauft überall hin. Aber wir haben ja zusätzlich zu allen Problemen, die hier schon beschrieben wurden, auch die Verknappung von Ware. Das geschieht in der Regel, weil der Lieferant sein eigenes D2C-Engagement ausbauen will.
„Aktuell erfahren wir, dass die Gemengelage aus Konsumverzicht und Inflation nur Beschleuniger ist für Probleme, die wir ohnehin haben.“
Karl-Heinz Lauterbach|Geschäftsführer Marc O’Polo Shoes
Karl-Heinz Lauterbach: Wir sind kein traditioneller Schuhanbieter. Als Lifestyle-Marke dreht sich bei uns alles um den Endkunden. Er kauft unsere Schuhe. Wenn ich auf meine berufliche Laufbahn zurückblicke, ging es vor 17, 18 Jahren darum, eine Marke und ein Produkt begehrlich zu machen. Und das hat funktioniert. Aktuell erfahren wir, dass die Gemengelage aus Konsumverzicht, Kostensteigerung und Inflation nur Beschleuniger ist für Probleme, die wir ohnehin haben. Wir haben in den letzten Jahren erkennen müssen, dass ein Online-Business entstand, das – unabhängig von der Frage der Rentabilität – Umsätze generierte, die woanders weggebrochen sind. Wem bereitet der Onlinehandel ein Problem? Dem stationären Handel! Denn er hat die Umsätze an den Onlinehandel verloren. Nun können diejenigen stationär gut performen, die ihren Job richtig machen, die ihre Idee und ihr Konzept haben, an ihren Standorten und für ihre Kunden. Je breiter man versucht, aufgestellt zu sein, desto schwieriger wird es. Viele kleine Boutique-Konzepte sind derzeit sehr erfolgreich mit ihrem Konzept, Sortiment, Beratung und Kundenbindung. Das kann man aber nicht skalieren.
Wir müssen darüber reden, dass wir alle weniger Schuhe verkaufen und die Frequenzen zurückgehen.“
Mathias Ledermann|Geschäftsführer Lepi Schuhe
Mathias Ledermann: Wir müssen darüber reden, dass wir alle weniger Schuhe verkaufen und die Frequenzen zurückgehen. Die Kalkulationsgrundlage der Industrie hat sich im Laufe der Jahre geändert und ist marktgerecht, aber frei gestaltbar. Wir Händler finden dagegen einen Preis vor, in dem wir gefangen sind und der uns teilweise Probleme beschert.
Karl-Heinz Lauterbach: Unsere Challenge ist die gleiche. Wir haben eine klare Vorstellung, wer unsere Schuhe zu welchem Preis kauft. Obwohl wir eine erfolgreiche Marke mit einem tollen Image haben, sind wir auf bestimmte Preislagen festgelegt. Wir können nicht morgen sagen, der Sneaker kostet mehr als 200 Euro, um dann festzustellen, dass er nicht abverkauft wird. In unserer jetzigen Preislage und Kalkulation versuchen wir, das beste Produkt hinzustellen. Natürlich wollen und müssen wir weiter wachsen. Und wir überlegen und entscheiden uns, mit wem wir weiter wachsen wollen.
(v.l.n.r.) Harald Riess, Rieker; Stephan Krug, SABU, und Holger Knapp, Sternefeld Medien (Foto: Leon Spanier)
Friedrich Werdich: Vertrauen in die gegenseitige Leistungsfähigkeit. Mit unseren Partnern müssen wir gemeinsam Synergien heben und einen Mehrwert schaffen. Hier muss einiges auf den Prüfstand: Orderrythmen, die Art wie wir Daten austauschen aber auch wie die Ware in den Verkauf gelangt.
Britta Goertz: Es gibt verschiedene Punkte, mit denen ein Hersteller einen Händler unterstützen kann und die zu mehr Rentabilität führen können. Nehmen wir Festsortimente, die frei einteilbar sind. Diese würden für mich schon mehr Ertrag bedeuten.
Kresimir Zovak: Allerdings sieht ein Händler in der Betrachtung des erzielten Ergebnisses am Ende einer Saison den Wert der freien Einteilung nicht unbedingt. Diesen Wert sieht man eigentlich bei der Bestandsbewertung der Alt-Saisons.
Karl-Heinz Lauterbach: Warum bietet die Industrie Festsortimente an? Weil diese einen Riesen-Impact auf Effizienz und Kosten in der Transport- und Lagerlogistik haben. Auch tragen Festsortimente aufgrund der Wiederverwendung von Verpackungen zur Nachhaltigkeit bei. Wenn wir keine Festsortimente mehr anbieten sollen, müssen wir eine andere Kalkulation einführen.
Kresimir Zovak: Zu mir ist noch kein Händler gekommen und hat gesagt: Du hast ein Prozent on top, denn bei Dir kann ich frei einteilen.
Harald Riess: Zwei Themen möchte ich herausgreifen: Ein Modell unserer Marke müsste für ein Fachmarkt-Konzept vielleicht 59 Euro kosten. Frau Goertz mit ihrem Fachgeschäft würde vielleicht sagen: 79 Euro oder sogar höher sind die richtigeren Preislagen. Nun kommen wir zum Clustern. Der Lieferant nimmt eine gewisse Sortierung der Händler und Konzepte vor. In diesem Zusammenhang haben beispielsweise wir mit Rieker Evolution einen gewissen Grundstein gelegt.
Zum Thema Umsatz und verkaufte Paarzahl hatte ich unlängst ein interessantes Gespräch mit einem Filialisten. Er war recht zufrieden mit der Situation. Er sagte, er verkaufe in geringem Maße weniger Schuhe, mache aber mehr Umsatz durch die allgemeinen Preissteigerungen.
Kai Moewes: Ich stimme Herrn Werdich zu, denn es geht um Prozesse und darum, diese ordentlich aufzusetzen. Wenn wir ihnen heute Ware verkaufen, wissen sie nicht, wann und wie sie ankommen wird. In der technischen Prozessoptimierung liegen so viele Möglichkeiten, da sollten wir endlich mal ran. Social Media ist ein Riesenthema. Das machen wir zwei Jahren sehr professionell und versuchen die Endverbraucher anzusprechen. Wir wachsen organisch, das funktioniert und zahlt auf die Marke stark ein. Zum Thema Preis und Absatz: Wir müssen uns damit beschäftigen, mit weniger Schuhen mehr Geld zu verdienen. Da muss es neue Ansätze geben. Das Rückgrat von Ricosta sind nicht die Onlinehändler. Wir glauben nach wie vor an die Handelslandschaft – auch wenn das schwierig wird. Die Stimmungslage ist derzeit höchst unterschiedlich. Der eine sagt, ich sperre morgen zu, und der andere sagt, so ein gutes Geschäft habe ich schon ewig nicht mehr gemacht.
Britta Goertz: Zum Thema Festsortimente: Wenn ich einen Lieferanten mit Festsortiment habe, weiß ich, dass die Abverkäufe in Größe 37 niemals ertragreich sind. Wenn mir ein Lieferant Nachlieferungen garantiert, kann ich mit etwas weniger Marge leben, weil ich dann automatisch auf einen besseren Abverkauf komme. Aber die Systeme sind nicht differenziert und automatisiert genug. Wenn es jetzt heißt, wir arbeiten nicht eng genug zusammen, sollten wir das jetzt tun.
„Wenn wir etwas erkennen, das im Markt gut läuft, ist es sehr schwierig, auf die Schnelle Menge X herzustellen.“
Harald Riess|Verkaufsleiter Rieker
Harald Riess: Bei einem Angebot von 80 Modellen ist Flexibilität besser machbar als bei 600 Modellen plus Farbvarianten. Die große Herausforderung auf Industrieseite sind die Leadtimes. Wenn wir etwas erkennen, das am Markt gut läuft, ist es sehr schwierig, auf die Schnelle die Menge X herzustellen. Mittlerweile ist auch das Material nicht mehr ohne weiteres verfügbar und wir reden heute nicht mehr über einen schlichten schwarzen Schuh, sondern über aufwendige Modelle mit vielen Details. Wenn nur eines fehlt, kann der Schuh womöglich nicht mehr realisiert werden. Wie geht die Industrie vor?
Sie macht die Planung der möglichen Nachordermengen auf Basis der Erstaufträge und einer Kunden-Matrix.
Ingo Hänel: Die Risikoverteilung zwischen Handel und Industrie empfinde ich als extrem ungleich und sie hat sich in den letzten drei Jahren zu unseren Ungunsten entwickelt.
Wir kaufen immer noch früher und mehr denn je ein, weil wir uns auf nichts mehr verlassen können: Kommt die Ware pünktlich oder kommt sie überhaupt oder bekommen wir Riesenstornos? Es gibt für F/S 23 einen Lieferanten mit 80% Stornoquote, weil er meint, der Markt sei übersättigt. Auf diese Schuhe hatten wir gesetzt und bekommen keinen Ersatz. Das alles machen wir mit unserem Geld ein Dreivierteljahr im Voraus.
Und dann sehen wir zähneknirschend, dass die Faulsten in unserer Branche Ware hingestellt bekommen – eben nicht auf eigene Rechnung –, während wir kaufen und kaufen und zahlen und zahlen und das komplette Risiko, auch das Abschriftenrisiko, bei uns liegt. Das kann ich so nicht akzeptieren.
„Wir versuchen, den Standortvorteil Europa nach vorne zu kehren, aber der Kunde ist gar nicht bereit dazu.“
Kai Moewes|Geschäftsführer Ricosta
Kai Moewes: Das würde ich so nicht unterschreiben. Die ersten 25% unserer nächsten H/W-Kollektion werden noch diese Woche verabschiedet, weil wir ansonsten nicht ab Juli Iieferfähig wären. Ohne einen Schuh verkauft zu haben, gehen wir ins Risiko. Die Thematik Geschäftsmodell finde ich hochinteressant. Da müssen wir uns sicherlich auch an die eigene Nase fassen. Denn wenn wir heute einen Prototyp erstellen, brauchen wir etwa zwei Monate, bis der fertig ist. Wir, die Industrie, sind in der ganzen Entwicklung nach wie vor zu langsam. Unser Unternehmen investiert in digitale Kollektionsentwicklung, bei der wir wesentlich schneller und flexibler sind. Aber: Wir bieten seit 2014 Zwischenkollektionen; man konnte noch im November F/S-Modelle als Ergänzung zur Kollektion ordern. Da sagen uns Händler: Das interessiert mich jetzt nicht.
Wir versuchen, den Standortvorteil Europa nach vorne kehren, aber der Kunde ist gar nicht bereit dazu, aus welchen Gründen auch immer. Es war nie unsere Absicht, dadurch mehr zu verkaufen, sondern wir wollten näher am Markt sein. Auch wir haben Probleme mit der Materialseite. Wenn heute alles gut läuft, brauche ich mindestens sechs Wochen, bis der Schuh fertig ist.
Friedrich Werdich: Das Thema Risikoverteilung sehe ich auch. Wir legen uns sehr lange vor dem Markt fest und platzieren Aufträge mit einer deutlich zu hohen Quote. Wie lösen wir das Problem auf? Festsortimente sind ein gutes Thema. Ich verstehe, dass die Industrie damit einen Vorteil hat. Da muss man vielleicht über eine Abschriftenbeteiligung für die Randgrößen sprechen. Wir müssen dahin kommen, dass Risiken geteilt werden. Aber das heißt auch für den Handel, dass er mehr Daten liefern muss. Wenn man wirklich eine Partnerschaft lebt, muss der Handel dafür sorgen, damit die Industrie die Prozesse straffen und beschleunigen kann.
Mathias Ledermann: Für unser Konzept sind Lösungen interessant, bei denen ein Lieferant Ware eventuell wieder herausnimmt und beispielsweise in seine Outlets gibt oder uns Reduzierungshilfen anbietet. Beides ermöglicht uns einen höheren Abverkauf und eine stabilere Kalkulation. Diese Form der partnerschaftlichen Kooperation wird in der Textilbranche schon lange gelebt und setzt Budgets für neue Orders frei.
Kai Moewes: Wie lange reden wir schon über den Datenabgleich? Wir machen das heute mit einem einzigen Kunden, und der sitzt in der Schweiz. Das Thema EDI langweilt mich mittlerweile. Es nützt mir nichts, wenn heute von einem Händler diese Liste erhalten und morgen von einem anderen Händler jene. Wir haben zwei Damen im Innendienst, die zum zehnten des Monats die Abverkäufe per Excel-Liste ermitteln, anstatt einfach auf den Knopf zu drücken. Das ist ja peinlich! Die Branche ist heute nicht in der Lage, ein einheitliches System zu fahren. Ich persönlich halte das Thema Outlet für gefährlich.
Das hilft uns nicht, denn wir werden die Schuhe nicht doppelt verkaufen. Dass Händler mehr einkaufen können, um die Schuhe dann ins Outlet zu schieben, das ist schwierig. Lasst uns das Thema EDI angehen! Es herrscht immer noch Misstrauen – oder aus welchen Gründen auch immer. Und immer wieder kommt das Argument, bei Schuhen gehe das nicht wegen der Rechts-Links-Thematik.
Karl-Heinz Lauterbach: Als ich im Schuhbereich anfing und mit Händlern über den Datenaustausch sprach, wurden mir Konditionsforderungen präsentiert nach dem Motto: Was bekomme ich dafür, dass ich Dir meine Daten liefere?
Harald Riess: Das Thema ist: Es wird zwar technisch funktionieren, aber leider sind die Saisons bzw. Bestände nicht immer klar abgegrenzt. Somit können sich bei einem Artikel über 100% Abverkaufsquote ergeben, weil die Bestände der Vorsaison mit einfließen. Am Ende hat man eine Liste, mit der man nicht arbeiten kann.
Kresimir Zovak: Noch ein Gedanke zum Thema Risikoverteilung: Erst einmal muss der Lieferant dafür ein Budget haben. Wir müssen alle Geld verdienen. Alle Verantwortung auf den Hersteller abzuwälzen, rettet den Handel auch nicht.
Klar, wir können irgendwann den kompletten Handel betreiben und nur noch unsere Schuhe reinstellen – aber es muss doch für beide Seiten funktionieren! Natürlich hilft man sich mal aus, wenn etwas schief läuft. Wenn wir zu spät liefern, geben wir Nachlässe. Natürlich haben unsere Kunden auch die Möglichkeit zu stornieren. Einige machen davon Gebrauch, andere nehmen lieber den Nachlass. Dass Kunden Aufträge stornieren, ist allerdings ganz allgemein nicht Sinn der Übung. Ware zurückzunehmen, ist für die Industrie der Tod.
Ingo Hänel, Schuhhändler aus Römerstein, und Britta Goertz, Schuhhändlerin aus Lübbecke (Foto: Leon Spanier)
Karl-Heinz Lauterbach: Im Textilbereich und auch im Ausland werden Konzepte wie Konsignation oder Depot intensiver betrieben. Wobei ich dazu sagen muss: Dort ist das immer ein Bewirtschaftungsmodell. Im deutschen Schuhfachhandel sehe ich es eher als Konditionenmodell nach dem Motto: Ich zahle, wenn ich was verkauft habe. Im Idealfall kann ich am Ende alles zurückschicken. Ich arbeite gerne mit solchen Konzepten. Aber nur, wenn sie als Bewirtschaftungsmodell genutzt werden, wenn wir so die Möglichkeit
haben, gemeinsam die Fläche zu planen und wir die Nachversorgung steuern können. Abgesehen davon ist ein solches Modell nur möglich, wenn es einen EDI-Austausch gibt.
Kresimir Zovak: Und es ergibt auch keinen Sinn auf einer Multilabel-Fläche, auf der die Schuhe neben vielen anderen stehen.
Karl-Heinz Lauterbach: Das ist auch ein wichtiger Punkt. Wir führen es dort aus, wo wir eine definierte Fläche und einen definierten Platz haben, wo es eine gemeinsame Umsatzplanung gibt und das Thema gemeinsam vorangetrieben wird.
Kresimir Zovak: Was für uns alle zählt, ist der Fokus. Wir fokussieren uns auf Kunden, die wirklich mit uns arbeiten wollen. Und vielleicht muss der eine oder andere Händler auch mal sagen: Ich muss nicht jedes Fabrikat, das es auf der Welt gibt, dazu einkaufen.
Ingo Hänel: Wie exklusiv ist der Lieferant denn bei Zalando und Amazon? Da ist man doch einer unter zig Tausend…
Kresimir Zovak: Wir verkaufen an Zalando kein Paar Schuhe. Es sind unsere Händler, die ihre Ware dort auf die Plattform bringen. Das kann ich nicht verbieten.
Ingo Hänel: Da sehe ich aber auch andere Bestrebungen, nämlich dass immer mehr Lieferanten sich selbst anbinden und ihre Schuhe direkt auf die Plattform stellen. Man muss im stationären Handel nicht von Fokus reden, wenn man bei den Online-Plattformen einer von 1.200 Lieferanten ist und jede Menge Ware reinpumpt.
Karl-Heinz Lauterbach: Hier ist die tägliche Frequenz aber auch eine viel höhere. Wie viele Kunden besuchen den Zalando-Store jeden Tag im Verhältnis zu einem stationären Händler? Sie suchen online Mode, Kinderschuhe, Booties und mehr. Ich sehe nicht, was schlecht daran sein soll, als Marke bei Zalando zu sein.
Ingo Hänel: Ich kann nicht einerseits einen Fokus predigen und dann an die liefern, die jeden Lieferanten anbieten. Das passt für mich nicht zusammen.
Mathias Ledermann: Wenn Zalando einen Schuh hat, den ich auch führe, kann ich damit leben, wenn dessen Preis stabil ist. Der Kunde sieht den Schuh bei Zalando und kann ihn bei mir gleich anprobieren und auch kaufen. Da sehe ich kein Problem.
Harald Riess: Die Bandbreite bei Zalando wird durch Connected Retail befeuert, also die Händler, die angebunden sind.
Harald Riess: Mit entsprechenden zielgerichteten Marketing-Kampagnen kann man gute Abverkaufssteigerungen erzielen. Der Handel sollte solche Angebote des Lieferanten dann aber auch annehmen bzw. daran teilnehmen.
Britta Goertz: Wenn eine Firma eine neue Produktgruppe in den Markt bringen möchte, warum können wir in diesem Segment nicht mehr aufeinander zugehen? Ich höre immer, es gebe große Werbekampagnen und keiner mache mit, weil die Händler sagen, das seien verrückte oder unverkäufliche Schuhe. Wenn ich aber als Händler wüsste, das sind Schuhe, die der Lieferant im Markt positionieren möchte, und er mindert mein Risiko, indem er die Nachlieferung durch die Saisons ermöglicht, dann hätten wir doch beide eine Chance zu wachsen.
Kai Moewes: Wenn wir eine neue Linie einführen wollen, können wir das mit einer Handvoll Händler planen, um die Akzeptanz bei den Endverbrauchern zu testen. Sollte die neue Linie nicht ankommen, muss man selbstverständlich am Ende der Testphase miteinander sprechen.
Harald Riess: Mit entsprechenden zielgerichteten Marketing-Kampagnen kann man gute Abverkaufssteigerungen erzielen. Der Handel sollte solche Angebote des Lieferanten dann aber auch annehmen bzw. daran teilnehmen.
Britta Goertz: Wenn eine Firma eine neue Produktgruppe in den Markt bringen möchte, warum können wir in diesem Segment nicht mehr aufeinander zugehen? Ich höre immer, es gebe große Werbekampagnen und keiner mache mit, weil die Händler sagen, das seien verrückte oder unverkäufliche Schuhe. Wenn ich aber als Händler wüsste, das sind Schuhe, die der Lieferant im Markt positionieren möchte, und er mindert mein Risiko, indem er die Nachlieferung durch die Saisons ermöglicht, dann hätten wir doch beide eine Chance zu wachsen.
Kai Moewes: Wenn wir eine neue Linie einführen wollen, können wir das mit einer Handvoll Händler planen, um die Akzeptanz bei den Endverbrauchern zu testen. Sollte die neue Linie nicht ankommen, muss man selbstverständlich am Ende der Testphase miteinander sprechen.
Industrie und Handel an einem Tisch: Branchentreffen Ende November in Frankfurt (Foto: Leon Spanier)
Ingo Hänel: Es geht um die erzielte Ist-Kalkulation nach der Saison. Je besser die Warenverfügbarkeit und die Nachbestell-Möglichkeiten, desto weniger müssen wir ins Risiko und in die Reduzierung. Wir haben eine Branche vor Augen, die mit noch viel kleineren Soll-Spannen unterwegs ist, aber eine viel höhere LUG hat: Das ist die Sportbranche. Die schaffen das doch auch! Aber die Schuhbranche schafft es, dass Schuhe, die zwölf Monate im Jahr nachgefragt werden, ausgehen, das muss doch nicht sein! Von einer höheren Lagerdrehung, mehr Nachbestellungen und insgesamt also höheren Verkaufsmengen profitieren doch Handel UND Industrie, ein klares Win-Win. Aber nein, wir Händler müssen bei den standardigsten Artikeln am besten zu 120% in die Vororder.
Britta Goertz: Da fehlen vielleicht auch die Vereinbarungen. Ist es nicht möglich, einen Schuh zu definieren, bei dem wir Händler uns verpflichten, ihn sechs Saisons lang zu verkaufen? Wir bekommen eine Grundbestückung und die wird immer aufgefüllt. Dann weiß der Lieferant schon mal, er hat sechs Saisons lang die Möglichkeit der Nachlieferung. Mit
einer klaren Positionierung kann ich besser umgehen, als wenn ich mit jedem Lieferanten erst diskutieren muss. Wir brauchen eine positive synergetische Partnerschaft.
Friedrich Werdich: Genau in die Richtung müssen wir arbeiten und uns anstrengen. Wir müssen Vertrauen schaffen auf beiden Seiten und Planbarkeit erreichen. Ich möchte gern
nochmals das Thema EDI in den Ring werfen. Jeder von uns legt die Stammdaten individuell an, jeder muss die Attribute pflegen, da ist noch so viel Potenzial – das muss endlich gehoben werden! Mir schwebt schon die ganze Zeit der Vergleich mit den Textilkollegen vor. Denen geht es tendenziell ein bisschen besser als uns. Da übernimmt die Industrie mehr Risiko, die sind aber im Datenaustausch eben auch schon weiter.
Ingo Hänel: Ich bleibe beim Thema Risikoverteilung. Wir Händler machen den ersten Fehler, wenn wir einen Schuh nach seiner UVP anschauen und einkaufen. Einen Großteil der Wertigkeit des Schuhs stellt der Händler her, dann soll er doch auch selbst entscheiden, was er dafür zu vereinnahmen hat. Die UVP führen zu einer Gleichmacherei, die nicht der Heterogenität des Geschäfts entspricht. Ich würde sie abschaffen.
„Ich wünsche mir eine bessere Positionierung bei uns Händlern und bei den Lieferanten.“
Britta Goertz|Geschäftsführerin Schuhhaus Meyer
Britta Goertz: Ich wünsche mir eine bessere Positionierung bei uns Händlern und bei den Lieferanten. Diese würde die Zusammenarbeit so sehr verbessern, dass beide etwas davon hätten. Wir Händler müssen ein eindeutiges Bild von unserer Stil- oder Zielgruppe haben und auch der Lieferant sollte genau wissen, wie der Händler tickt. Das würde die Zusammenarbeit automatisch verbessern.
Kresimir Zovak: Ich wünsche mir, dass wir die zahlreichen Möglichkeiten, die wir haben, auch alle zu nutzen verstehen. Dass der Handel sich auf Lieferanten konzentriert, mit denen er dann intensiver zusammenarbeitet. Jeder sollte sich mit
den vorhandenen Möglichkeiten befassen und auch mal etwas testen. Offen an Dinge ranzugehen, Nachbestellungen oder NOS einfach versuchen – da ist am schnellsten etwas zu holen.
Friedrich Werdich: Vororderquote runter und Nachorderquote hoch – und bitte standardisierte Prozesse in der ganzen Branche.
Karl-Heinz Lauterbach: In der Schuhbranche herrschte über viele Jahre eine gewisse Preisstabilität vor. Im Moment steigen die Kosten und damit naturgemäß auch die Preise. Wird das der Verbraucher im nächsten Jahr akzeptieren? Viele haben Energiemehrkosten, die dem Budget für Fashion entsprechen – und sie werden nicht bei der Energie sparen. Daher muss in der Zusammenarbeit jede Möglichkeit analysiert werden, um Prozesse zu vereinfachen und Kosten zu sparen. Bei der Industrie und auch im Handel.
Kai Moewes: Ich verstehe nicht, dass der Handel so viel Angst hat, ausverkauft zu sein. Wir kennen nichts Schöneres als ausverkauft zu sein. Der Händler, der sich komplett auf die Lieferfähigkeit der Industrie verlässt, hat am Ende das Nachsehen. Ich wünsche mir mehr Vertrauen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass uns vorgehalten wird, die Industrie verdiene sich dumm und dämlich und die armen Händler kommen nicht voran. Davon müssen wir wirklich wegkommen. Mir geht es um gegenseitiges Verständnis.
Harald Riess: Ich wünsche mir, dass die Vielfalt der Schuhhandelslandschaft, wie wir sie jetzt haben, möglichst lange so bestehen bleibt. Momentan bläst uns Lieferanten ein kalter Wind ins Gesicht. Natürlich wird es immer zu Veränderungen in der Handelsstruktur kommen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Industrie und Handel eng zusammenarbeiten. Ich wünsche mir auch, dass seitens des Handels die Kollektionsleistung, die der Lieferant bietet, entsprechend anerkannt wird. Und dass die abverkaufsunterstützenden Maßnahmen, die der Lieferant anbietet, vom Handel auch angenommen und genutzt werden.