"Ja, es wird auch weiterhin zu Störungen in den Lieferketten kommen. Aber wir stellen uns die Frage im Sinne einer sicheren oder robusten Supply-Chain zu jeder Seefrachtausschreibung. Vor diesem Hintergrund beobachten und werten wir die Performance aller bzw. insbesondere der eingesetzten Reeder und Fahrtgebiete aus. Je nach Einschätzung und Ergebnis hat das Einfluss auf unsere Ausschreibung, in der wir Anteile einzelner Reeder erhöhen, reduzieren oder sogar ausschließen – nach Fahrtgebieten und Loops.
Es werden weiterhin Corona und die Ukraine-Krise und deren Auswirkungen auf die Produktion, die Lieferwege oder Ports Einfluss haben. Gerade in China war und ist die ’No‘-
Covid-Strategie eines der größten Probleme. In der Vergangenheit ist es z.B. immer wieder zu Hafenschließungen gekommen. Die derzeitige völlig unkontrollierte Öffnung Chinas in Sachen Covid von 0 auf 100 führt gerade in das nächste „Desaster“. Die Fallzahlen werden in alle Bereichen rapide steigen. China steht nun vor einer nie da gewesenen Infektionswelle, die die gesamte Wirtschaft Anfang 2023 hart treffen wird. Die Produktion wird genauso betroffen sein wie die Zulieferung und Hafenabwicklung.
Hafenschließungen haben zur Folge, dass die Route bzw. der Fahrplan der Schiffe und die Reihenfolge der Häfen durcheinander geraten. Das hört sich einfach an, man fährt mit dem Bus einfach weiter bis zur nächsten Bushaltestelle – das geht so aber nicht. Die Container sind an bzw. unter Deck in der Reihenfolge der Entladehäfen gestaut. Wenn z.B. Hamburg ausfällt (wg. Streik der Hafenarbeiter) und Felixtowe (London) wäre der nächste Hafen, dann müssten hier erst die Hamburg-Container entladen werden, um an die für England heranzukommen. Das Schiff war aber in der Reihenfolge nicht für diesen Liegeplatz vorgesehen und nicht zu dieser Zeit, es wurde also im Hafen an diesem Liegeplatz noch nicht der Im- und Export für dieses Schiff vorbereitet. Es kommt zum Verzug. Außerdem kann der Hafen vielleicht nicht alle Container aus Hamburg mit aufnehmen oder weiter transportieren (fehlende bzw. plötzliche Transportkapazität).
Durch dieses Einzelereignis sind nachgelagert mehrere Häfen betroffen, mehrere Schiffe und viele Fahrpläne. Da an jedem Liegeplatz pro Woche mindestens zwei Schiffe abgefertigt werden, multipliziert sich solch ein Ereignis schnell auf -zig Schiffe, mehrere Häfen, für mehrere Wochen und alle Reeder. Die Corona-Schließungen chinesischer Häfen haben jedoch auch Auswirkungen auf Zulieferer und damit auf andere asiatische Länder und Produktionsstätten, die von chinesischen Zulieferern abhängen.
Die Ukraine-Krise bleibt ein weiteres Risiko für einige Mittelmeerhäfen und für die Transportroute der Containerschiffe. Außerdem gibt es das Risiko der Ausweitung des Konflikts. Da die deutschen Hafenarbeiter gerade erst für zwei Jahre eine neue Lohnvereinbarung bekommen haben, sollten hier aus deutschen Häfen keine Risiken für den Ausfall eines Hafens im Fahrplan drohen, das kann aber für andere Häfen und Länder nicht ausgeschlossen werden.
Leercontainer sind keine Mangelware mehr, sie sind inzwischen wieder an allen Häfen und für fast alle Reeder verfügbar. Gleiches gilt für Stellplätze an Bord; das heißt nicht, dass nicht zu Chinese New Year wieder ein ’run‘ vorhanden sein wird, aber der ist ’saisonal‘ üblich. Generell werden noch jede Menge Neubauten in den kommenden Jahren in Dienst gestellt, so dass es kurzfristig auch keinen Mangel an Frachtraum gibt. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht immer mal wieder jeder Reeder einzelne oder mehrere Schiffe eines Loops mit einem ’blank Sailing‘ temporär außer Dienst nimmt, um das Volumen zu verknappen und auf den Preis Einfluss zu nehmen.
Als grundsätzliche Strategie unsererseits ist zu erwähnen, dass wir uns produktionsseitig breit aufgestellt haben – vor allem auch außerhalb Chinas –, um potenzielle Risiken von Lockdowns möglichst zu minimieren. Außerhalb Chinas gibt es keine Zero-Covid-Politik. Darüber hinaus legen wir – im Sinne der Lieferzuverlässigkeit – Wert auf pünktliche und nicht auf die billigsten Container. Es stellt sich auch immer wieder die Frage der weiteren Verlagerung von Produktion von Asien nach Europa. Europa ist für viele Produkttypen gar nicht geeignet. Insbesondere kann elegantere Ware weder in kommerziellen Preislagen noch in benötigten Mengen in Europa produziert werden"
Jens Beining|Wortmann