Die aktuelle Orderrunde ist für die Industrie die Schwerste. Wie stellt sich die Situation für Ihr Unternehmen dar?
Wir sehen das mit gemischten Gefühlen. Straßenschuhe sind schwierig, hier schreiben wir zweistellig Minus. Hausschuhe sind gut, damit erreichen wir ein schönes Plus. Insgesamt werden wir aber noch einmal ein hohes Minus einfahren.
In welchen Bereichen hat Corona in Ihrem Unternehmen Positives bewirkt?
Das Team und die Mitarbeiter sind hoch solidarisch, wir wachsen weiter zusammen. Alle verstehen die schwere Zeit und das setzt auch neue Kräfte frei. Zudem gehen wir noch konzentrierter die Zukunftsprojekte an, die wir uns vorgenommen haben: Digitalisierung und Nachhaltigkeit – das sind die zwei Megatrends unserer Zeit.
Gibt es in unserer Branche auch Gewinner der Krise? Wenn ja – wer sind diese Gewinner?
Es gibt immer Gewinner. Für mich sind das die Menschen und die Unternehmen, die trotz dieser Krise positiv und optimistisch bleiben und ihre Konzepte anpassen. Wir werden dazu gehören.
Wortmann-CEO Jens Beining hat sich in einem Interview mit schuhkurier sehr kritisch über Online-Plattformen geäußert. Diese seien der „Sargnagel des stationären Handels“. Stimmen Sie zu?
Es gibt unterschiedliche Plattformen – gute und nicht so gute. Zugegeben, dies es ein schwieriges Feld, auf dem wir uns bewegen, aber ohne geht es nicht mehr. Wir müssen als Hersteller sehr darauf achten, mit wem wir arbeiten. Selektion ist angesagt.
Und nun ein Blick in die Zukunft: Die Gläserne Schuhfabrik ist ein Investment an Ihrem Standort mitten in der Pandemie. Was versprechen Sie sich von diesem Projekt?
Der Umbau des ganzen Komplexes in unser neues Besucher- und Erlebniszentrums Josef Seibel – Schuhfabrik mit angeschlossenem Restaurant ’1886‘ ist trotz Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen fast abgeschlossen. Wir investieren viel Geld in unsere Kernkompetenz: Schuhe entwickeln, produzieren und vermarkten. Die Marke Josef Seibel bekommt ja gerade einen Relaunch verpasst. Hier zeigen wir den neuen Weg der Markenführung physisch. Die Brandbox gibt einen Überblick, was wir tun und warum. Wir sind in diesem Jahr 135 Jahre alt, die fünfte Generation ist schon am Start und wir haben viel Lust, den Besuchern, Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern unsere neue, nachhaltig 100% in Hauenstein produzierte Spirit of Nature Kollektion und unseren konfigurierbaren Sneaker 1886 zu zeigen und nahe zu bringen. Insgesamt eines der absoluten Top-Projekte, die wir gerade bearbeiten.
Wann sehen Sie für unsere Branche das Schlimmste überstanden?
Leider erst Mitte 2022 durch den langen Nachlauf der Saisons.
Das Messegeschehen ist in den zurückliegenden Wochen stark beeinträchtigt gewesen. Wann rechnen Sie mit einer Normalisierung?
Messen sind ja leider seit einigen Jahren auf dem Abwärtstrend und ich befürchte, durch Corona wird es nicht besser. Als Kommunikationsplattform werden sie vermutlich erst wieder in 2022 wichtig.
Unsere Branche hat es lange nicht geschafft, Interessen zu bündeln und mit einer Sprache zu sprechen, um sich Gehör zu verschaffen. Warum hat das Schuh-Business so eine schwache Lobby?
Das Schuh-Business hat keine schwache Lobby – da widerspreche ich. Wir arbeiten als HDS/L für die Industrie ebenso wie die Händlerverbände sehr konzentriert und auch gut zusammen. Aber wenn sich schon so prominente Verbände wie BDA und BDI im Wirtschaftsministerium, Finanzministerium und Kanzleramt kaum Gehör verschaffen können, wie man ja leider in den letzten Monaten erlebt hat, dann ist es selbstverständlich für kleinere Industrien bzw. Segmente des Handels noch viel schwieriger. Meine Meinung habe ich anfangs schon gesagt: Unsere Regierung ist wirtschaftsignorant.
Mit welcher Entwicklung rechnen Sie für die Seibel-Gruppe für das Jahr 2021?
Leider werden wir auch dieses Jahr mit Umsatzverlusten rechnen müssen. Da die Hoffnung ja bekanntlich zum Schluss stirbt, hoffe ich doch noch auf ein einigermaßen vernünftiges zweites Halbjahr und damit auf ein zumindest kleines positives Jahresergebnis.
Welche Perspektive sehen Sie für sich selbst und den Generationenwechsel in Ihrem Unternehmen?
Meine Tochter Franziska, ihr Mann Michael Fischer und ich bilden seit einem Jahr die Geschäftsführung unserer Unternehmensgruppe. Wir sind ein gutes Team und daher wird der Generationenwechsel in den nächsten zwei bis drei Jahren sehr gut gelingen.
Wie wird Ihrer Meinung nach eine „neue Normalität“ in unserer Branche aussehen?
Der Verbraucher wird weniger Schuhe kaufen, dafür bewusster und nachhaltiger. Slow Fashion statt Fast Fashion ist angesagt. Wir werden super digital sein müssen, ob in Beschaffung, Vertrieb, Marketing oder Kundenservice. Wir müssen beweglich bleiben, aber trotzdem als gut erkannte und bewährte Konzepte weiterführen und am Markt durchsetzen.