Der Erdrutsch
Eine Analyse der Schuhbranche
- 12.05.2023
- Petra Steinke, Christian Kandlin
- 12 Minuten
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Handel ist Wandel – aber was derzeit im Schuhmarkt vor sich geht, sprengt alle bisher gekannten Dimensionen. Viele Unternehmen befinden sich im Krisenmodus. Corona, Krieg und Inflation haben den Strukturwandel massiv beschleunigt und sorgen fast im Wochentakt für Hiobsbotschaften. „Es ist eine ganz, ganz große Krise. Wir haben so etwas in unserer Karriere noch nicht erlebt“, berichtet Karim Choukair, Geschäftsführer Melvin & Hamilton, gegenüber schuhkurier. Die Insolvenzen großer Handelsunternehmen und die damit einhergehende Schließung zahlreicher Standorte seien für Lieferanten extrem herausfordernd, wenn nicht existenzbedrohend. Schuhhersteller berichten gegenüber schuhkurier von Umsatzverlusten in Höhe von bis zu 40% seit 2019. Wer da nicht schnell seine Kosten strafft, hat es schwer.
Es ist ein regelrechter Erdrutsch, der im Schuh- und Modehandel stattfindet. Im März hatte Galeria Karstadt Kaufhof die Schließung von insgesamt 52 Häusern bis Jahresende angekündigt; wenig später wurden noch fünf Standorte von dieser Schließungsliste gestrichen – die Vermieter hatten Zugeständnisse gemacht, teilte das Unternehmen mit. Inzwischen sind laut Medienberichten weitere zwei Standorte – Braunschweig und Rosenheim – gerettet. Das diesem Beispiel noch viele andere Häuser folgen dürften, ist allerdings nicht zu erwarten. GKK-Sanierer Arndt Geiwitz dämpfte zuletzt Hoffnungen dahingehend, die Schließungsliste deutlich zu reduzieren. Wo Karstadt- oder Kaufhof-Häuser bestehen bleiben, herrscht zwar große Erleichterung. Alternativen für die großen Flächen zu finden, die sich meist in bester Lage in Innenstädten und Fußgängerzonen befinden, das stellt viele Kommunen vor große Herausforderungen. Für die Lieferanten, die von den Schließungen betroffen sind, macht es indes kaum einen Unterschied, ob am Ende 47, 45 oder einige Häuser weniger schließen werden: Der Paarzahl-Verlust ist ohnehin enorm.
„Es ist eine ganz, ganz große Krise. Wir haben so etwas in unserer Karriere noch nicht erlebt.“
Karim Choukair|Melvin & Hamilton
Auch der Hamburger Schuhfilialist Görtz kommt nicht zur Ruhe. Das Unternehmen will sich in Eigenverwaltung sanieren und hat im Zuge des Verfahrens bereits zahlreiche Standorte geschlossen. Mit konkreten Angaben zur Schließungsliste hält sich das Unternehmen zurück, bestätigt lediglich einzelne entsprechende Meldungen und gibt zu Gerüchten, laut denen 80 Standorte geschlossen werden, keinen Kommentar ab. Überall in Deutschland wurden unterdessen Görtz-Standorte vom Netz genommen – mindestens 30 sind inzwischen bestätigt; weitere dürften folgen. Auch bei Görtz: Nach einem „unerwartet schlechten Geschäftsverlauf“ im ersten Quartal 2023 sah sich der Görtz-Sachwalter im April gezwungen, drohende Masseunzulänglichkeit anzuzeigen – begleitet von umfangreichen Rabattaktionen und wohl auch weiteren Schließungsplänen. Das Unternehmen hangelt sich vom Osterrabatt über Wochenend-Aktionen bis hin zum Midseason-Sale; Nachlässe von bis zu 30% werden dabei auch auf aktuelle Ware gewährt. In den Geschäften ist indes laut Beobachtern wenig Ware zu finden; das Flaggschiff in der Hamburger Mönckebergerstraße gleiche zurzeit eher einem Outlet, schildert ein Branchenkenner seinen Eindruck. Zuletzt bestätigte das Unternehmen die Schließung des Flagship-Stores in der Kölner Zeppelinstraße zum 30. Juni. Zur Schließung unprofitabler Standorte gebe es keine Alternative, ohne die Sanierungschancen zu gefährden, hieß es. Auch Stores in Berlin-Köpenick, Westerland (Sylt) und Kiel sollen laut schuhkurier-Informationen vor dem Aus stehen. In der Branche kursieren Gerüchte, laut denen etwa ein Dutzend Standorte im Zuge der Masseunzulänglichkeit schließen sollen.
Auch im Falle Görtz fällt also in relativ kurzer Zeit eine erhebliche Zahl an Verkaufspunkten weg – und damit Volumen für die Lieferanten. Die aktuell angezeigte Masseunzulänglichkeit bereitet zusätzlich Sorge: „Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Sachwalter jemals Masseunzulänglichkeit anzeigen musste“, sagt ein Vertriebsverantwortlicher, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Meist ging alles sauber über die Bühne. Wer da geliefert hat, wird bestraft.“ Viele Lieferanten hätten ihr Engagement bereits in den zurückliegenden Saisons zurückgefahren, einige würden die Lieferungen jetzt „auf Null“ stellen. Eine andere Möglichkeit, die von Herstellern derzeit genutzt wird, ist die Lieferung im Eigentumsvorbehalt, wobei die Ware bei Nichtzahlung zurückgegeben werden muss. Das sieht aber nicht jeder Lieferant als komfortable Lösung an: „Wer will schon mit einem LKW durch die Gegend fahren und seine Schuhe aus den Filialen holen?“, fragt der Vertriebschef eines Schuhherstellers, der anonym bleiben möchte. Karim Choukair sagt, man habe die Entwicklung bei Görtz schon seit einiger Zeit kommen sehen und sich früh angepasst. Andreas Schaller, Geschäftsführer von Lloyd, erklärt: „Wir arbeiten mit Görtz im normalen Maß weiter. Allerdings hat sich das Volumen in den zurückliegenden Jahren aufgrund der Filialreduzierung schon sukzessive reduziert.“
Ralf Grossmann, Geschäftsführer Gerli, schildert seine Erfahrungen so: „Bei Görtz konnten wir noch rechtzeitig die Lieferung aus Asien stoppen und es gibt Verhandlungen, die bereits produzierte Ware für H/W zu übernehmen. Das hängt natürlich von der aktuellen Situation ab und davon, wie es im Allgemeinen mit Görtz weitergeht. Bei Galeria haben wir keinen nennenswerten Verlust verbuchen müssen, da die Ware auf Konsignation geliefert wurde und somit nicht in die Insolvenz mit hineinfällt.“
„Der Markt muss sich bereinigen. Kunden, die ihr Geschäft seriös und erfolgreich betreiben, werden stärker werden.“
Ralf Grossmann|Gerli
Für die Wuppertaler Schuhfilialisten Klauser und Salamander wurden Ende Februar die Insolvenzverfahren eröffnet. Betroffen sind 42 Salamander- und 40 Klauser-Standorte. Dr. Sven Tischendorf, seit Dezember einer der Geschäftsführer der Schuhfilialisten, bestätigt gegenüber schuhkurier aktuell die Schließung von fünf Standorten: die Klauser-Filialen Solingen, Essen Limbecker Straße, Essen Bamlerpark und Mönchengladbach sowie das Salamander Outlet in Bad Münstereifel sind betroffen.
Der ebenfalls insolvente Schuhfilialist Reno unterhält aktuell 180 Standorte, den Großteil in Deutschland, weitere in Österreich und der Schweiz. Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen den Besitzer gewechselt; davor lag die Zahl der Filialen noch bei 275. Wie viele jetzt bestehen bleiben, ist unklar. Angesichts der in vielen Standorten schon seit Monaten sichtbar geringen Warenausstattung fürchten Lieferanten das Schlimmste. Mit Pölking/Lemax, Shoepassion, der KG Schuhkay sind weitere Schuhhandelsunternehmen in Schieflage. Gleichzeitig machen viele kleinere Händler „leise“ zu, weil sich kein Nachfolger findet und die Unternehmer weitere Investitionen scheuen. Und so wird sich die Zahl der Schuhgeschäfte in Deutschland wahrscheinlich weiter reduzieren. „Alles, was nicht ansatzweise Potenzial hat, wird zugemacht“, ist Karim Choukair überzeugt.
Und nicht erst seit 2022 dünnt sich das Filialnetz im Schuhhandel aus. Unternehmen wie Leiser, Schuhhof, Anika, Schuhkay und Dielmann haben in teils erheblicher Zahl Standorte geschlossen. Kritisch sehen Lieferanten im übrigen die in Deutschland bestehende Möglichkeit des Planinsolvenzverfahrens. „Dadurch sind wir ja quasi zu Insolvenzverwaltern geworden“, sagt ein Vertriebler. Auch Ralf Grossmann sieht Nachteile für die Industrie: „Durch die Planinsolvenz hat der Gesetzgeber den Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, sich neu zu strukturieren und neu aufzustellen, leider auf Kosten der Lieferanten. Ich empfinde es als Wettbewerbsverzerrung, wenn falsche Management-Entscheidungen noch belohnt werden, indem sich die in Insolvenz befindliche Firma schuldenfrei stellt und der Lieferant hierfür die Rechnung bezahlen muss.“
Nicht alle Schuhhändler haben Probleme. Der Essener Schuhfilialist Deichmann blickt auf ein erfolgreiches Jahr 2022 zurück. In Deutschland stieg der Bruttoumsatz 2022 auf 2,5 Mrd. Euro. Das entspricht einem leichten Wachstum im Vergleich zu 2019, als 2,4 Mrd. Euro erwirtschaftet wurden. „Wir sind bislang gut durch die Krisenzeiten gekommen, haben unsere Chancen genutzt und blicken positiv nach vorne. Besonders erfreulich ist, dass wir im vergangenen Jahr gruppenweit in den bestehenden Verkaufsstellen stark wachsen konnten“, betont der Verwaltungsratsvorsitzende Heinrich Deichmann. 2022 verkaufte Deichmann weltweit 178 Mio. Paar Schuhe in 4.565 Filialen und 41 Online-Shops. Allein in Deutschland verkaufte das Unternehmen in rund 1.400 Filialen und online etwa 69 Mio. Paar Schuhe. Man habe in der Pandemie keine Standorte vom Netz nehmen müssen, erklärt Deichmann. In Deutschland seien in diesem Jahr gruppenweit rund 30 neue Filialen geplant; 450 Standorte sollen europaweit modernisiert werden. Ralf Grossmann, bringt die Situation auf den Punkt: „Uns ist doch allen klar, dass in den letzten Jahren immer mehr laufende Meter an Verkaufsflächen dazu gekommen sind und nur wenige abgebaut wurden. Ich denke, der Markt muss sich bereinigen und die Kunden, die ihr Geschäft seriös und mit Erfolg betreiben, werden noch stärker werden. Das gilt übrigens auch auf Lieferantenseite. Ein für mich klarer Gewinner der aktuellen Situation ist die Firma Deichmann mit einem Umsatzrekord, mit den Zukäufen von Marken und exklusiven Lizenzen, alles richtig gemacht, kann man da nur sagen.“
Dass sich der Schuhhandel in einem Veränderungsprozess befindet, ist nicht neu. Schon vor der Corona-Pandemie zeigten sich deutliche Verwerfungen. Ein Blick auf die Zahlen macht dies greifbar: So entwickelte sich das Umsatzvolumen im Schuhmarkt bis ins Jahr 2019 relativ stabil bis positiv. Umfasste es im Jahr 2008 laut einem Dossier von Statista 8,3 Mrd. Euro, erreichte es im Jahr 2019 9,9 Mrd. Euro (Grafik 1). Die Entwicklung des Nettoumsatzes im Einzelhandel mit Schuhen in Deutschland spricht indes eine andere Sprache: Seit 2014 (fast 8 Mrd. Euro) sank es kontinuierlich auf knapp über 5 Mrd. Euro im Jahr 2020 (Grafik 2). Dabei waren die umsatzmäßig führenden Unternehmen in Deutschland im Jahr 2020 laut Statista Deichmann (1,9 Mrd. Euro), die Hamm-Reno-Group (360 Mio. Euro), Schuhhaus Siemes (253 Mio. Euro), Görtz (199 Mio.) und die Kienast Gruppe (186 Mio. Euro). Die Zahl der Unternehmen im Einzelhandel mit Schuhen sinkt indes Jahr für Jahr. Von nahezu 8.000 Firmen im Jahr 1998 waren laut Statista im Jahr 2020 knapp über 3.000 übrig (Grafik 3). Während die Zahl der Firmen sank, die Filialzahl aber über einen langen Zeitraum relativ stabil blieb, zeigen sich seit 2016 deutliche Veränderungen. Den vorläufigen Höchststand an Filialen erreichte der Schuheinzelhandel laut Statista im Jahr 2015 mit 13.157 Standorten. Ein Jahr später wurden 10.892 Standorte gezählt, 2017 10.268. Im Jahr 2020 lag die Zahl der Schuhhandelsfilialen bei 9.786 (Grafik 4). Der BTE Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren zeigt in seinem Statistik-Report anschaulich, wie sich die Strukturen im Schuheinzelhandel verschieben. Vor allem die mittleren Umsatzgrößen zwischen 100.000 und 1 Mio. Euro schmelzen zusammen (Grafik 5). Auch bei den Verbundgruppen zeigen sich die Veränderungen in den Zahlen. Die ANWR in Mainhausen vereinte Ende 2018 1.210 Mitgliedsunternehmen mit 3.670 Standorten unter ihrem Dach. Ende 2022 waren es 1.010 Mitgliedsunternehmen und 2.800 Standorte. Beim SABU hat sich die Zahl der Unternehmen von 624 im Jahr 2018 auf 527 im Jahr 2022 verringert. Im gleichen Zeitraum stieg indes die Zahl der Standorte von 1.117 auf 1.146.
Die Verwerfungen im Schuhhandel zwingen die Industrie zum Umdenken. Die Rechnung ist einfach: „Wenn mir bei einem Partner 10.000 Paar wegfallen, heißt das ja nicht, dass ein anderer spontan 10.000 Paar mehr kauft“, so ein Vertriebler. Ausweichmöglichkeiten sind dünn gesät. Wer keine eigenen Produktionsstätten unterhält, ist flexibler und kann die Paarzahl anpassen. Ohnehin stehen bei vielen Schuhherstellern derzeit Verschlankung und Kostenreduktion im Mittelpunkt. Auch wird der Kundenbestand analysiert. Zwar sind die kleineren Fachhändler in der Regel gut unterwegs – aber sie können das wegfallende Volumen nicht ersetzen. Und: „Neue Kunden in Deutschland zu finden, das ist schon eine Herausforderung“, sagt der Vertreter eines Unternehmens im konsumigen Segment. Dass es in Deutschland noch so viele kleine Schuhhändler gibt, die sich auch in der Pandemie gut geschlagen haben, verdanke man vor allem den Einkaufsgenossenschaften, erklärt Andreas Schaller: „Wir haben dank der Verbundgruppen die Strukturen im deutschen Schuhhandel lange halten können. Die haben wirklich einen guten Job gemacht.“
Überraschend sind die Veränderungen für die wenigsten. Was schockt, ist das Tempo. „Was wir aktuell in Deutschland sehen, hat in anderen Ländern schon vor Jahren stattgefunden“, sagt der Geschäftsführer eines Schuhherstellers, der ebenfalls anonym bleiben möchte. „Die klassischen Filialisten wird es in Zukunft hierzulande nicht mehr geben. Wir müssen uns also überlegen, mit wem wir wie zusammenarbeiten wollen.“ Modelle, wie sie im Ausland schon praktiziert werden, etwa Franchise-Konzepte, könnten eine Lösung sein. Auch D2C werde an Bedeutung zunehmen. „Uns bleibt da keine Wahl“, so der Firmenchef. Das bestätigt auch Lloyd-Geschäftsführer Andreas Schaller, wobei er eine stationäre Expansion kritisch sieht: „Jetzt auf Teufel komm raus in eigene Stores investieren – das werden wir nicht machen. Monomarkenstores sind keine Selbstläufer und mit hohen Risiken verbunden. Unser Engagement mit Blick auf unseren Onlineshop werden wir allerdings stetig modernisieren, um erfolgreich zu bleiben.“
Viele Lieferanten wollen zudem ihr Exportgeschäft ausbauen – aber auch das braucht mitunter Zeit. Wer jetzt einen hohen Exportanteil hat, kann einiges kompensieren. Märkte wie Frankreich oder die USA funktionieren gut – wenn man schon früh mit der Aufbauarbeit begonnen hat. Achim Gabor, Chef des Rosenheimer Unternehmens, hatte schon im Podcast-Gespräch mit schuhkurier auf die große Bedeutung des Exports hingewiesen. „Glücklich ist heute der, der ein gutes Exportgeschäft hat“, so Gabor. In seinem Unternehmen bewegen sich die Auslandsmärkte traditionell um die 50% Umsatzanteil. Dort seien – ähnlich wie in Deutschland – die kleineren Händler gut durch die Krise gekommen. Zudem seien die Exportmärkte nicht so stark von der Konsumzurückhaltung getroffen wie Deutschland, obwohl Herausforderungen wie die hohe Inflation auch dort Wirkung zeigten. Lloyd hat laut Geschäftsführer Andreas Schaller im Wholesale-Bereich einen Exportanteil von 45%. „Wir haben schon früh entschieden, alle Wege zu gehen. Das heißt Wholesale, aber auch eigene Stores, Onlinehandel und FOC. Dafür wurden wir viel kritisiert. Heute aber bin ich froh, weil wir von einzelnen Segmenten nicht so stark abhängig sind. Im Moment sind wir dabei, stärker im Modehandel Fuß zu fassen. Insbesondere mit Herrenschuhen, aber auch mit Damenschuhen haben wir im Modehandel eine erfreuliche Entwicklung. Das kann allerdings die Verluste im Schuhhandel noch nicht auffangen. Aber international und mit bestehenden Händlern laufen die Geschäfte derzeit gut.“
Auch Deichmann kommt für einige Schuhhersteller als Kunde in Frage. Das Unternehmen hat sein Markenportfolio in den zurückliegenden Jahren deutlich ausgebaut und präsentiert unter anderem internationale Sportbrands wie Adidas, Nike, Puma, Fila, Reebok, Skechers und Asics. Manche Schuhhersteller arbeiten bereits mit dem Essener Filialisten zusammen, andere prüfen eine Kooperation. Für Lloyd-Geschäftsführer Andreas Schaller steht indes fest: „Deichmann: Das machen wir nicht.“
Während viele Lieferanten stationär wegfallendes Volumen in den zurückliegenden Jahren über Onlinehändler kompensieren konnten, beginnt auch hier ein Umdenken. Die Zeiten ungebremsten Wachstums bei den Online-Pure-Playern scheinen vorbei. Zumindest hat sich das Wachstum verlangsamt. Die Schließung von Mirapodo, welche die Otto Gruppe spätestens zu Februar 2024 angekündigt hatte, beschert Lieferanten ebenfalls einen teils erheblichen Paarzahlverlust. Hinzu könnte ein weiteres erhebliches Problem kommen: Denn es ist davon auszugehen, dass mit dem Ende von Mirapodo große Mengen Ware in den Markt gespült werden. Ralf Grossmann, Geschäftsführer Gerli, sieht Onlinehandel weiter als Option: „Der Onlinehandel ist natürlich auch ein geeignetes Medium, um Schuhe zu verkaufen, hier werden wir aber nur als Lieferant auftreten und nicht als D2C-Anbieter. Auch ist nach wie vor kein eigener Webshop in der Planung.“ Auch im Onlinehandel werde die Marktbereinigung weitergehen, prognostiziert ein Branchenkenner. Und die Haltung zum Onlinehandel ist bei manchem deutlich kritischer geworden: „E-Commerce ist nicht nachhaltig. Der Kunde bleibt nicht. Geld verdient mit diesem System vor allem einer: Google. Wir sind daher aus diesem Marketing-Kampf ausgestiegen“, berichtet Karim Choukair.
Um den Marktentwicklungen des stationären Handels eine weitere Perspektive zu verleihen, hilft es, sich die Entwicklung des scheinbar konkurrierenden Kanals, dem Onlinehandel, bewusst zu machen. Im letzten Jahrzehnt nahm dieser kontinuierlich zu und entwickelte sich so für viele entweder zur großen Chance – oder zum großen Problem. Vor allem Online-Riese Amazon, der laut Statista heutzutage rund 25% der Gesamtverkäufe des Schuhhandels ausmacht, sorgte bei vielen stationären Händlerinnen und Händlern für Umdenken. So kam es über die Jahre zu einem Umsatzwachstum mit Schuhen von 3,58 Mrd. Euro im Jahr 2016 bis hin zu 4,48 Mrd. Euro im Jahr 2019. Gleichzeitig stagnierte der stationäre Schuh-Einzelhandel und stieg über denselben Zeitraum um gerade einmal 0,3 Mrd. Euro.
Mit Beginn der Pandemie sowie den damit einhergehenden Schutzverordnungen und Lockdowns brach auch der stationäre Einzelhandelsumsatz ein – nicht so jedoch der Onlinehandel. Während ersterer im Jahr 2020 Einbußen von rund 1,2 Mrd. Euro machte und damit bei einem Umsatz von rund 6,88 Mrd. Euro lag, entwickelte sich der Onlineumsatz rasant nach oben. Im ersten Corona-Jahr wuchs das Volumen auf 4,84 Mrd. Euro an, im Jahr 2021 sogar auf 5,45 Mrd. Euro. Wie der BEVH jedoch vermeldet, nahm dieses Wachstum mit dem ersten Quartal 2022 sein jähes Ende. Dort sei die letzte positive Entwicklung zu verzeichnen. Während sich auf der einen Seite die Folgen des Ukraine-Krieges auswirkten und auf der anderen Seite die Pandemieverordnungen der Bundesregierung aufgehoben wurden, nahm der Umsatzanteil des Onlinehandels wieder rapide ab. So sei laut BEVH im ersten Quartal 2023 ein Rückgang von -24,8% im Vergleich zum ersten Quartal 2022 zu beobachten – von 1,13 Mrd. Euro auf 0,85 Mrd. Euro. Wie sich der Umsatz mit dem Onlinehandel von Schuhen in den kommenden Monaten entwickelt, bleibt auch aufgrund der sehr zurückhaltenden Kauflust noch unsicher.
Die weiteren Aussichten sind nicht gerade rosig. Das Jahr ist für viele Handelsunternehmen schwach gestartet. Die Kauflust hat noch nicht an Fahrt gewonnen; nach wie vor scheinen die Menschen verunsichert. Hinzu kommt: Die nasskalte Witterung bis in den Mai lockte nur wenige zum Schuhkauf. Noch vor einigen Wochen wurden Daunenjacken und Boots getragen. „Wenn die Wetterprognosen stimmen und uns ein heißer Sommer droht, werden die Menschen von den Stiefeletten direkt in die Flip-Flops umsteigen. Damit wäre uns dann auch nicht geholfen“, sagt Karim Choukair. Lloyd-Chef Andreas Schaller will aber optimistisch bleiben: „Was sich nicht geändert hat, sind die 85 Mio. Menschen in Deutschland, die beschuht werden wollen. Verändert hat sich lediglich der Weg zu diesen Kunden. Das ist die Herausforderung.“