„Eine große Herausforderung“
Hamm Footwear GmbH im Gespräch
- 26.04.2023
- Petra Steinke
- 11 Minuten
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Moritz Hamm: Der Relaunch der Marke fiel zeitlich genau in die Phase des Corona-Ausbruchs hinein, das war natürlich eine enorme Herausforderung. Als die Pandemie Fahrt aufgenommen hat, waren die daraus resultierenden Folgen, insbesondere gestörte Lieferketten und Frachtkostenexplosionen, sicherlich die größten Schwierigkeiten für uns. Hinzu kam die allgemein große Verunsicherung im Handel. Zugleich war die Konzentration der Marke auf den deutschsprachigen Raum sehr hoch. Daraus folgend fehlten uns Kompensationsmöglichkeiten, um mit anderen Märkten einen Ausgleich zu schaffen.
Carsten Schlüter: Wobei man sagen muss, dass die Corona-Pandemie ganz allgemein Marken mit geringer internationaler Ausrichtung stärker getroffen hat. Das war nicht allein ein Camel Active-Problem.
Moritz Hamm: Das lässt sich ganz einfach beantworten: Wenn wir von der Pandemie gewusst hätten, hätten wir, egal mit welcher Marke, zu diesem Zeitpunkt keine Kooperation gestartet, sondern abgewartet, wie sich die Situation entwickelt. Das alles hat mit der Marke nichts zu tun.
David Friedrich: Allein die Ungewissheit, die mit der Situation einher ging, war gravierend: Niemand wusste, wie lange die Pandemie dauern und welche Auswirkungen sie haben würde.
„Die gesamte Wertschöpfungskette war betroffen.“
Carsten Schlüter|Prokurist (Finanzen) bei der Hamm Footwear GmbH
Moritz Hamm: Zum Ende der Pandemie ist die Belastung durch die Folgen des Ukraine-Krieges hinzugekommen und hat die sich gerade bessernde Stimmung und eine daraus resultierende Perspektive erneut zurückgeworfen. Das war eine große Schwierigkeit. Insgesamt waren damit gerade bei Camel Active und Scotch & Soda die Bedingungen deutlich erschwert. Für unsere langfristigen Planungen war dies eine große Herausforderung , denn erneut war nicht absehbar, wie sich die Situation entwickeln würden. Wie man heute weiß, dauert die Krise immer noch an.
Moritz Hamm: Wir befanden uns im stetigen Austausch mit unseren Lieferanten sowie Kunden und der Wille zur Partnerschaft war immer da. Alle Parteien, egal wo in der Lieferkette, standen unter Druck. Man konnte also die Partnerschaft oft nicht leben, wie man es gewollt hätte. Den Grund-Ethos haben wir nicht vermisst.
David Friedrich: Aus Vertriebsperspektive kann ich sagen, dass wir es an Partnerschaft definitiv nicht haben missen lassen. Wir haben dem Handel viele Offerten geboten, seien es Kooperationsmodelle bis hin zu verlängerten Zahlungszielen. All das war natürlich nur in einem gewissen Maß möglich. Ich denke, niemand würde uns den Vorwurf machen, dass wir nicht partnerschaftlich agiert hätten. Aber es gab diese große Verunsicherung im Handel, so dass unsere Offerten nicht immer angenommen wurden. Auch heute nehme ich noch eine große Unsicherheit bei vielen Händlern wahr.
Carsten Schlüter: An Partnerschaft hat es nicht gefehlt, ganz im Gegenteil. Man hat sogar sehr viel Verständnis für die Teilnehmer auf den unterschiedlichen Wertschöpfungs-Stufen gehabt. Das Problem war, dass die gesamte Wertschöpfungskette, jeder an seinem Platz, betroffen war. Das haben wir mit Augenmaß und dem, was wir dazu beitragen konnten, gemanagt. Aber die Verwerfungen waren einfach zu groß. Neben den gestörten Lieferketten und den Frachtkostenexplosionen kamen auch veränderte Wechselkursraten mit dem US-Dollar hinzu, die die Beschaffungskosten nochmals in ungeahnte Höhen trieben, welche dann nicht mehr aufgefangen werden konnten.
Moritz Hamm: Bis vor Kurzem hatten unsere Produktionspartner in China immer noch enorme Probleme, zu planen. Denn wenn eine Fabrik in einer Provinz lag, in der von einem Tag auf den anderen ein Komplett-Lockdown verkündet wurde, stand dort erst mal alles still. Auch wenn dies nur eine Komponente eines Schuhs betraf, war das eine enorme Belastung für die Planbarkeit. Es hat am guten Willen der Lieferanten nicht gefehlt, aber auch sie waren Situationen ausgesetzt, die gänzlich unkontrollierbar waren.
Moritz Hamm: Die Lockdowns in Asien und Indien, insbesondere in China, haben natürlich Probleme bereitet. Es war uns nicht möglich, vernünftig im Voraus zu planen. Auch die Abstimmung mit Kunden war dadurch bedingt erschwert. Das hat sich inzwischen wieder normalisiert.
Carsten Schlüter: Hinzu kam auch, dass viele Lieferanten Probleme hatten, ihr Personal im Lockdown zu halten. Viele Arbeiter in Produktionsstätten sind abgewandert. Dadurch waren Fabriken trotz ihrer Lieferverpflichtung uns gegenüber faktisch nicht mehr in der Lage zu produzieren.
„Wir haben dem Handel viele Offerten geboten.“
David Friedrich|Prokurist (Vertrieb) bei der Hamm Footwear GmbH
David Friedrich: Es gab unterschiedliche Reaktionen. Einige haben Aufträge storniert, weil sie selbst unter Druck standen. Ich mache da aber niemandem einen Vorwurf, das wäre nicht fair. Es war nicht absehbar, wann die Geschäfte wieder öffnen dürften. Andere Händler haben viel Verständnis gezeigt und an ihren Aufträgen festgehalten.
Moritz Hamm: Grundsätzlich war die Marschroute richtig. Unsere Initiativen für Innovationen haben Anklang gefunden, aber der Boden war aufgrund der allgemeinen Situation nicht so fruchtbar, wie wir das gehofft haben.
David Friedrich: Honoriert wurden unsere Innovationen durchaus. Bei Kollektionsvorlagen, digital oder persönlich, haben uns die Kunden signalisiert, dass sie unser Engagement, neue Kollektionen und frische Styles in den Markt zu bringen, schätzen. Was Camel Active und Scotch & Soda betrifft, ist es uns verwehrt geblieben, in die internationalen Märkte zu gehen. Und weil in Deutschland die Verunsicherung so groß war, hat die Frische in den Kollektionen am Ende nicht gereicht. Ich denke aber trotzdem, dass unsere Strategie richtig war. Anderen Marken wurde vorgeworfen, die Krise auszusitzen und zu wenig Innovationen zu zeigen. Das traf auf uns nicht zu.
Moritz Hamm: Wir waren in einer Situation, in der der erforderliche Kapitalbedarf mit den Marktbedingungen und der unklaren Perspektive nicht mehr in Einklang zu bringen war. Gerade wenn man die erhöhten Kosten in der Lieferkette betrachtet, ging es um signifikante Beträge bei einer nicht absehbaren Zeitschiene. Wir mussten davon ausgehen, dass sich die Krise noch länger hinzieht. Im Ergebnis war Kapital in einer sehr großen Dimension erforderlich und wir mussten erkennen, dass das nicht realisierbar war. Das betraf Investitionen und den erhöhten Kostenbedarf in der Lieferkette – beides war zu weit von unseren ursprünglichen Planungen entfernt.
David Friedrich: Hinzu kam die Ware, die wir schon produziert hatten und für die dann Aufträge storniert wurden. Auch das musste finanziert werden.
Carsten Schlüter: Man stellt Businesspläne für die Saison auf, und wenn Sie feststellen müssen, dass sich der grundsätzlich justierte Kapitalbedarf aufgrund der beschriebenen Effekte um einen großen Faktor erhöht – und das in einer Relaunch-Situation –, müssen Sie sich fragen, in welchem Verhältnis Aufwand und Nutzen stehen. Wir mussten erkennen, dass dieses Verhältnis völlig unausgewogen war. Natürlich haben wir die Entscheidung, in die Insolvenz zu gehen, lange diskutiert und nicht leichtfertig getroffen. Aber in einem solchen Marktumfeld mussten wir konstatieren: Das unternehmerische Risiko ist einfach zu hoch. Es hilft nicht, in einer solchen Situation die Augen zu verschließen – auch wenn die Entscheidung schmerzhaft ist.
„Grundsätzlich war die Marschroute richtig.“
Moritz Hamm|Geschäftsführer der Hamm Footwear GmbH
Moritz Hamm: Die Abstimmung war gegeben und wir haben intensiv mit allen Beteiligten daran gearbeitet, dass wir schnellstmögliche Übergänge schaffen, um die Marke im Markt aufrecht zu erhalten.
David Friedrich: Es schmerzt, man ärgertsich. Als persönliche Niederlage habe ich die Entwicklung allerdings nicht gesehen. Es gab für den Relaunch mit Camel Active in der gegebenen Situation schlicht keine Chance. Wir wissen, dass wir das Marken-Business beherrschen. Das haben wir vor der Pandemie schon oft unter Beweis gestellt.
Carsten Schlüter: Es herrschte bei uns größtes Bedauern über das, was da geschehen ist. Aber wenn sich die Rahmenbedingungen derart stark ändern, muss man das anerkennen und das Beste aus der Situation machen. Und man muss versuchen, die Emotionalität ein Stück weit zurück zu fahren.
David Friedrich: Man muss sich die Situation noch einmal vor Augen führen: Wir sind mit Mundschutz herumgelaufen, keiner wusste, was geschieht. Es gab täglich Mails von Kunden, die ihre Ware stornieren wollten, man war fast ohnmächtig. So ging es im übrigen nicht nur uns, sondern vielen Marktteilnehmern. Es war ein gewaltiger Sturm, dessen Folgen immer noch nicht abgeklungen sind.
Moritz Hamm: Die Art und Weise, wie sich die Situation angebahnt hat, ist durchaus mit Camel Active vergleichbar. Ja, es gab eine etwas längere Vorgeschichte, wir waren mit Scotch & Soda im vierten Jahr. Das ist allerdings noch eine frühe Phase, wenn man es global betrachtet. Die erste Schuhkollektion kam 2019 auf den Markt. Wir hatten im deutschsprachigen Raum und in Benelux bereits große Schritte vollzogen, aber international hatten wir noch einiges vor uns. Es war unser Wunsch, weitere Märkte aufzubauen, wenn sich die Situation erst einmal beruhigt hätte. Aber auch bei Scotch & Soda hat sich der Kapitalbedarf drastisch erhöht, einhergehend mit einer unklaren Perspektive.
Carsten Schlüter: In der Zeit zwischen Mai, der Insolvenz von HC Footwear, und Herbst gab es umfangreiche Stützungsmaßnahmen durch die Gesellschafter. Man muss dabei konstatieren, dass gerade die Entwicklung des US-Dollar sehr ungünstig war. Das zehrte das bereitgestellte Kapital sehr schnell auf.
Moritz Hamm: Wir, die Familie Hamm, standen in dieser Zeit vor der Frage, ob eine nochmalige Investition sinnvoll sei. Wir mussten an einem Punkt eine schmerzhafte Entscheidung treffen.
David Friedrich: Der Handel ist aber auch verunsichert und hält gern an bewährten Marken fest. Viele haben sich unsere Kollektion angeschaut und fanden die Styles toll.
Moritz Hamm: In einem normalen Marktumfeld hätte es ganz klar Potenzial für Scotch & Soda gegeben; es hätte aber immer unter den Umsatzmöglichkeiten von Gant gelegen. Die Möglichkeiten konnten wir durch die Pandemie nicht ausschöpfen.
David Friedrich: In einer Krise setzen sich Marken durch, die Relevanz haben, die vorher da waren, die in vielen internationalen Märkten aktiv sind und kanalübergreifend präsent. So weit waren wir mit Camel Active und Scotch & Soda nicht.
Moritz Hamm: Ja. Auf der einen Seite muss man aus Unternehmens- und Gesellschafterperspektive Kosten und Investitionen betrachten. Hinzu kommt aber auch das Thema der Mitarbeiter, die von notwendigen Entscheidungen betroffen sind. Das war mit Sicherheit der schmerzhafteste Teil und ist uns enorm schwergefallen. Wir sind eine kleine Struktur, konnten Entlassungen aber nicht abwenden. 35 Menschen haben unser Unternehmen verlassen müssen. Wir haben jetzt noch 65 Beschäftigte.
Carsten Schlüter: Das ist die Verantwortung der Geschäftsführung, der wir uns stellen mussten. Wenn man es mit einer Familie als Gesellschafter zu tun hat, die dieses Geschäft seit Generationen betreibt und sich den Mitarbeitern sehr verbunden fühlt, dann tut das umso mehr weh, denn es entspricht nicht der Philosophie und dem Leitbild der Familie.
David Friedrich: Hamm hat die Schuhlizenz von Gant 2013 übernommen und 2014 die erste Kollektion auf den Markt gebracht. In den Anfangsjahren lagen die Umsätze bei etwa 8 Mio. Euro. Heute liegen wir weit, weit darüber. Das heißt, Hamm hat auch durch sein Zutun die Marke so international aufgestellt, dass sie sogar in Pandemie-Zeiten Umsatzzuwächse erreichen konnte. Das hängt mit der Kollektion, mit dem Engagement bei Hamm und mit der Internationalisierung zusammen. Ab 2016/17 war die Marke fest im Markt etabliert und stark genug.
Moritz Hamm: Hinzu kommt die sehr gute Kooperation mit der Textilmarke. Auch diese hat sich in Pandemie-Zeiten weiterentwickelt. Nun wollen wir in den bestehenden Märkten wachsen, insbesondere in Nordamerika, und neue erschließen wie z.B. Australien und China. Auch in den Beschaffungsmärkten wollen wir neue Wege einschlagen. Wir haben eine Produktion in Albanien gestartet und werden vermutlich auch in Indonesien mit der Produktion beginnen. Wir werden das Thema Direct Shipping von den Produktionsstätten weiter ausbauen.
David Friedrich: In China standen wir schon in den Startlöchern, aber die Null-Covid-Strategie hat zum Stillstand geführt. Jetzt sind wir wieder aktiv und wollen dort starten. Es ist ein höchst interessanter Markt. In Australien hat es einen erfreulichen Start gegeben. Die Marke ist sehr flexibel, die Kollektion breit aufgestellt. Auch dem Wunsch nach etwas angezogeneren Styles können wir nachkommen.
David Friedrich: Aktuell sind das der deutschsprachige Raum und Skandinavien, aber auch Märkte wie Israel und Osteuropa entwickeln sich gut. Wir bekommen viele Anfragen von potenziellen neuen Partnern; die Marke wird gut besprochen. Auf den Messen gab es bei uns einen großen Andrang, und es ist praktisch kein Händler abgesprungen. Das intensive Arbeiten zahlt sich aus, was uns sehr freut.
Moritz Hamm: Wir haben uns eng mit dem Gant Headquarter in Stockholm abgestimmt und die Marke in Russland komplett eingestellt. Der Markt gehörte für uns zu den Top 10.
David Friedrich: Wir sind mit den Ergebnissen zufrieden und haben unser gestecktes Ziel erreicht. Natürlich ist der Onlinehandel derzeit zurückhaltender. Da ist noch sehr viel Ware vorhanden, die nun erst einmal vermarktet werden muss.
Moritz Hamm: Selbstverständlich beschäftigen wir uns kontinuierlich mit dem Thema. Neue Kooperation prüfen wir sehr sorgfältig.
Moritz Hamm: Wir gehen davon aus, dass sich der Markt konsolidieren und sich die Situation beruhigen wird. Es war ein Überangebot im Markt, das musste sich – so schmerzhaft das ist – ordnen. Betrachtet man den gesamten Markt, ist die Menge der verkauften Schuhe nicht eingebrochen. Aber viele Unternehmen haben unter den Herausforderungen der letzten Jahre sehr gelitten. Fachhändler, die diese schwierige Phase erfolgreich meistern, werden gestärkt daraus hervorgehen und haben eine gute Basis, auf der man aufsetzen kann.
David Friedrich: Entscheidend ist, wie international vertreten eine Marke ist und wie gut sie zwischen den verschiedenen Märkten ausgleichen kann. Wir sind mit Gant in vielen Ländern sehr breit aufgestellt, vom Schuhfachhandel über Großkunden bis hin zum E-Commerce.
Moritz Hamm: Diese Frage ist schnell beantwortet: Wir haben keine Bestrebungen, ein eigenes D2C-Geschäft aufzubauen.