Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?
Von der Antwort auf diese Frage hängt für Unternehmen und die Geschäftsleitungen viel ab. Handelt es sich doch bei der Zahlungsunfähigkeit um einen sogenannten Insolvenzgrund, bei dem die Insolvenzantragspflicht greift. Für die Verantwortlichen in Unternehmen ist der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit auch mit dem Blick darauf dahingehend relevant, da sie unter Umständen für Zahlungen nach diesem Zeitpunkt haften und eventuell sogar eine strafbare Insolvenzverschleppung vorliegt. Doch wann ist ein Unternehmen eigentlich zahlungsunfähig?
Das ist durchaus nicht ganz einfach zu erkennen und festzustellen. Da trifft es sich auf den ersten Blick gut, dass der Bundesgerichtshof in einer Leitsatzentscheidung kürzlich eine vermeintlich vereinfachte Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ermöglicht hat. Verantwortliche aus Unternehmen aus dem Schuh- und/oder Modehandel sollten die neue Methode allerdings wie nachfolgend dargestellt mit Vorsicht genießen.
Ein Unternehmen ist zahlungsunfähig, wenn das Unternehmen zehn Prozent seiner Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen kann, die in Addition am Tag der Berechnung (Stichtag) fällig sind und in den nächsten drei Wochen fällig werden. Ob das der Fall ist und – wenn ja – ab wann, lässt sich mit einer erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen, bei der in zwei Schritten vorgegangen wird:
- Zu einem Stichtag werden die vorhandenen Geldmittel eines Unternehmens den zu diesem Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt.
- Decken die Geldmittel nur 90 Prozent oder weniger der Verbindlichkeiten, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob diese Unterdeckung innerhalb der folgenden drei Wochen beseitigt werden kann. Dazu werden die Geldmittel, die dem Unternehmen aller Voraussicht nach in diesen drei Wochen zufließen und die Verbindlichkeiten, die in diesem Zeitraum fällig werden, jeweils hinzugerechnet. Bleibt es auch dann bei der Unterdeckung von zehn Prozent oder mehr, ist das Unternehmen zahlungsunfähig.
Neben diesen etablierten Berechnungsansatz hat der Bundesgerichtshof nun einen weiteren gestellt:
- Bei der neuen Methode ist es nunmehr auch möglich, an drei Stichtagen innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen jeweils einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu erstellen. In diesem werden lediglich die zum jeweiligen Stichtag vorhandenen Geldmittel den zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenüberstellt. Wenn an diesen drei Stichtagen jeweils eine Liquiditätslücke von zehn Prozent oder mehr vorliegt, ist das Unternehmen rückwirkend ab dem ersten Stichtag zahlungsunfähig.
Die neue Methode führt tendenziell allerdings zu verkürzten Berechnungen, die der Sorgfaltspflicht nicht genügen und bei laufender Geschäftstätigkeit die in die Zukunft gerichteten Finanzpläne als Instrumente des in der Krise gebotenen verschärften Controllings außer Acht lassen. Bei einer ordnungsgemäßen Buchführung sollten die Verantwortlichen in Unternehmen aus dem Schuh- und/oder Modehandel daher weiterhin die erweiterte Liquiditätsbilanz einsetzen, um bei der Antwort auf die Frage „Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?“ auf der sicheren Seite zu sein. Die neue Berechnungsmethode liefert demgegenüber lediglich drei aneinandergereihte Stichtagsberechnungen und kann saisonale Schwankungen sowie Zahlungsstockungen nur bedingt abbilden. Bisher nicht entschieden ist, welche Methode anwendbar ist, wenn beide zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Hinzu kommt, dass die Fragestellung „Ist die Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten?“ unter anderem bei einer vorinsolvenzlichen StaRUG-Restrukturierung und bei einem Schutzschirmverfahren entscheidend ist. Diese Verfahren können nur beantragt werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit nur droht, aber noch nicht eingetreten ist. Mit der neuen Berechnungsmethode lässt sich die Abgrenzung zwischen drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit jedoch nicht so trennscharf ermitteln, wie das mit der erweiterten Liquiditätsbilanz möglich ist. Es ist daher auch hier ratsam, auf die etablierte Methode zu setzen, um auf der sicheren Seite zu sein und die dynamische Liquiditätsentwicklung von Unternehmen realitätsnah abbilden zu können.