„Die Presse schreibt immer, wir sollen mutig sein. Was aber machen wir, wenn unser Mut vom Verbraucher nicht belohnt, sondern schlicht ignoriert wird?“ Diese Frage eines Händlers stand im Zentrum einer lockeren Plauderei auf den Gängen der Micam. Der Unternehmer erklärte: Man habe schon vor einem Jahr auf der Mailänder Messe schmückende Metallnieten als Trendthema in zahlreichen Kollektionen ausgemacht und dann mutig entschieden, diese Modelle zu ordern. „Wir wollten bei diesem Trend dabei sein und waren uns sicher, hier wirklich etwas Neues zu präsentieren.“ Inzwischen sei Ernüchterung eingetreten, so der Händler. „Das Thema lief im Wesentlichen über Abschriften.“ Nun stelle sich die Frage, wie mit den dekorativen Nieten weiter zu verfahren sei, die auch in diesem Jahr wieder in vielen Kollektionen zu sehen sind. „Waren wir zu früh? Ist jetzt die richtige Zeit für das Thema? Wie viel Mut können wir uns leisten?“ Eine nachvollziehbar schwierige Entscheidung, die zeigt, wie tief die Verunsicherung beim Handel sitzt.
Einige Stände weiter auf der Messe in der italienischen Metropole. Blick auf eine der mehr als 1.300 Kollektionen. Das Spektrum reicht nicht nur bei dieser Marke von Overknees über derbe Worker Boots bis hin zu Westernstiefeln, von Pumps à la Gucci über College-Slipper bis hin zu kräftigen Sneakern mit Kreppsohle. Nicht zu vergessen die spitzen, ’zickigen‘ Pumps auf Penny-Absatz; die wurden auch noch mitgenommen. Dekorative Federn, Strasssteine und unzählige Nieten – alles ist zu sehen. Und nicht selten auch alles zusammen an einem Schuh. Nur die klare Linie in der Kollektionsaussage lässt sich kaum erkennen. Die Handschrift, das selbstbewusste Fokussieren auf einzelne Themen. „Diese Entwicklung beobachte ich derzeit in vielen Kollektionen“, erklärt ein anderer Einkäufer genervt. „Die Marken präsentieren hier alles, aus jedem Dorf ein Köter in den Kollektionen. Man will bloß keinen möglichen Trend verpassen. Was wirklich wichtig ist, weiß keiner mehr.“ Verunsicherung also auch bei der Industrie.
Kann es sein, dass unsere Branche sich im Trend-Dilemma befindet? Dass das Gespür für die Mode schwächelt? Das Selbstbewusstsein, einen klaren Weg einzuschlagen und diesen dann auch konsequent zu gehen? „Die Unsicherheit des Handels sorgt für Unsicherheit in der Industrie – und umgekehrt“, fasst ein Branchenkenner zusammen. Die allgemeinen Marktbedingungen und wohl auch die Prognosen mancher Experten im Hinblick auf die Zahl der ’überlebenden‘ Unternehmen in den nächsten Jahren dürften ein übriges dazu beitragen, dass Orientierung und Selbstbewusstsein fehlen. Und in einer immer schnelllebigeren Zeit können sich Trends gar nicht mehr richtig entwickeln. Ständig sind neue Themen da. Das ist fatal. Denn es kommt gerade jetzt darauf an, dass sich jeder auf seine eigenen Stärken besinnt. Nur so kann etwas entstehen, das nicht im Einheitsbrei versinkt.