Wo in Zukunft die Kunden ihre Schuhe kaufen, lässt sich nur spekulieren. Vor allem das ablaufende Jahr macht Prognosen nahezu unmöglich, auch wenn die Ausgangslage
für 2022 zunächst recht positiv war. Pandemie-Nachholbedarf und Revenge-Shopping führten zu einem rasanten Jahresstart. Doch dann kam alles ganz anders. Der durch den Ukraine-Krieg verursachte Nachfrageschock sowie die durch den Russlandfeldzug verschärfte Lieferkettenproblematik lässt weitere Schließungen im stationären Einzelhandel befürchten. Die Lieferungen aus China bleiben durch die Null-Covid-Strategie verursachten Shutdowns von Produktionsanlagen und Häfen immer wieder aus. Das macht neben Inflation und Kaufzurückhaltung die Warenwirtschaft für Bekleidung und Schuhe praktisch nicht mehr planbar. Nicht ohne Grund muss Galeria Karstadt sich aus weiteren 43 Standorten zurückziehen. Erste Händler aus den Vorreiterbranchen „Medien sowie Elektronik“ haben in 2022 bereits den Totalrückzug aus ihren Läden verkündet – so u.a. Ex-Libris in der Schweiz und jetzt aktuell Conrad Electronics in Deutschland, die im stationären Geschäft großgeworden sind. Wer langfristig überleben will, muss sich digitale Standbeine schaffen. Denn auch 2022 kamen – trotz der durchweg offenen Läden – die Innenstädte nur auf rund 80% der Frequenzen von 2019. Eine vielbeachtete Studie von Accenture spricht bereits von einem Jahrzehnt des Zuhauses. Experten gehen langfristig von 50% Online-Anteil in
allen Non-Food-Warengruppen aus, so dass demnach in Zukunft noch rund zwei Drittel des bisherigen stationären Non-Food-Handels existieren und noch einmal rund ein Drittel reduzieren wird.
Eines ist klar: Niemand will, dass der stationäre Einzelhandel verschwindet und die Innenstädte veröden. Allerdings stimmen die Bürger mit den Füßen und zunehmend mit dem Daumen ab. Sie sind diejenigen, die über Leben und Sterben im Einzelhandel bestimmen. Wenn sie sich gegen den innerstädtischen Einzelhandel entscheiden, dann gibt es dafür Gründe. Zweifelsohne haben ohnehin sterbende Formate wie z.B. die Waren- und Kaufhäuser kaum Überlebenschancen. Und lokale Händler, die unter einer Digitalallergie leiden und mehrheitlich noch nicht einmal die Voraussetzungen für Online-Geschäfte erfüllen, werden auch nicht überleben können. Dennoch hat der stationäre Einzelhandel eine Zukunftschance, wenn er sich neu erfindet und dabei intelligente Systeme nutzt. Auch lokale Einzelhändler müssen heute datenbasiert arbeiten, was bisher kein großes Thema war. Die große Chance für stationäre Händler ist und bleibt auch in Zukunft, dass aus Kundensicht die Attraktivität der Produkte mit Abstand das Wichtigste ist, wenn es um die Entscheidung für einen bestimmten Händler geht. Der Kunde will ein attraktives Produkt – und das kauft er in dem Kanal, wo der Kauf für ihn am einfachsten ist und ihm die Kaufvorbereitung digitalbasiert ermöglicht wird. Welcher Kanal das ist, ist dem Kunden im Endeffekt egal.
Gerrit Heinemann|Leiter eWeb Research Center Hochschule Niederrhein