schuhkurier: Herr Beining, wie erleben Sie die derzeitige Situation?
Jens Beining: Es ist ein Ausnahmezustand in jeder Hinsicht. Niemand hätte eine solche Situation für möglich gehalten. Persönlich muss ich sagen, dass ich sehr überrascht davon bin, welch massiven Impact eine fünfwöchige Schließung von Geschäften auf unsere gesamte Branche hat. Diese Situation wird uns noch lange beschäftigen. Ich rechne mit zwei Jahren.
Was bedeutet die Corona-Krise für ein international aufgestelltes Unternehmen?
50% unserer Umsätze generieren wir im Ausland. Die Situation ist für uns extrem komplex, zumal in unterschiedlichen Ländern auch völlig verschiedene Rahmenbedingungen herrschen. Das sehr hilfreiche Mittel der Kurzarbeit gibt es beispielsweise in anderen Ländern nicht.
Im Übrigen befassen wir uns schon seit Januar intensiv mit der Corona-Krise, die ja in China ihren Anfang nahm, wo wir produzieren. Es war für uns mit enormen Herausforderungen verbunden, dort unter erschwerten Bedingungen zu arbeiten. Unter Einhaltung massiver Sicherheitsvorkehrungen – zum Teil sogar aus 14-tägiger Quarantäne heraus – hat unser Team die neue Kollektion entwickelt, damit wir alle Termine halten können. Jetzt kommen hier jeden Tag tausende Paar Schuhe auf unseren Hof – und die Geschäfte sind zu.
Darüber hinaus haben wir aus den Erfahrungen heraus, die wir in China gemacht haben, schon frühzeitig damit begonnen, auf Home Office umzustellen. Etwa 70% unserer Beschäftigten arbeiten von zu Hause. Das ist völlig reibungslos vonstatten gegangen. Ein neuralgischer Punkt ist für uns natürlich die Logistik, die man nicht vom Home Office aus erledigen kann. Aber auch hier haben wir umfangreiche Vorkehrungen getroffen. Ich hoffe, dass auch diese komplexen Vorkehrungen in der Logistik ausreichen, damit wir in den kommenden Wochen reibungslos arbeiten und liefern können.
Wann haben Sie erstmals einen Shut-Down in Deutschland für möglich gehalten?
Das war während der Micam. Allerdings haben wir uns dabei vor allem die Frage gestellt, wie wir trotz einer möglichen Quarantäne-Situation arbeiten können. Wir haben eher mit einer partiellen Betriebsschließung gerechnet, wie sie bei Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle in Deutschland ja auch bei einigen Unternehmen erfolgt ist.
Viele Unternehmen haben sich mit Beginn des Shut-Down zu Wort gemeldet, es wurde viel kommuniziert. Von Ihnen hat man zunächst nicht viel gehört.
Uns war es wichtig, erst einmal intensiv zu arbeiten. Wir wollten ein umfangreiches Bild von der Situation gewinnen und ermitteln, wo jetzt am stärksten der Schuh drückt. Dazu haben wir uns darauf konzentriert, mit sehr vielen Kunden, auch international, ausführliche Gespräche zu führen. Daraufhin haben wir in intensiven Sitzungen Maßnahmen entwickelt, die unseren Kunden maximal helfen sollen. Das Paket, welches wir nun geschnürt haben, umfasst einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Es ist, das möchte ich betonen, einzigartig. Aber außergewöhnliche Situationen bedürfen eben auch außergewöhnlicher Maßnahmen.
Was waren die ersten Signale, die Sie mit Beginn des Shut-Down an Ihre Kunden gesandt haben?
Wir haben mehrere Dinge unmittelbar angeschoben. Beispielsweise verzichten wir bei unserer Onine-Plattform derzeit auf eigene Umsätze zugunsten der angebundenen Händler. Wir leiten deutlich mehr Aufträge durch als sonst und haben für unsere Partner für den Zeitraum der Schließungen die Kosten mehr als halbiert. Die Verbraucher haben wir über verschiedene Kanäle darüber infomiert, dass sie mit Bestellungen über Tamaris.com den stationären Handel unterstützen. Das Feedback der Verbraucherinnen war Spitze; alle haben sehr positiv darauf reagiert. Auch mit Bestellungen!
In Ihrem Unterstützungspaket spielt auch eine neue Saisontaktung eine wichtige Rolle. Glauben Sie, dass sich dieser Ansatz durchsetzen lässt?
Ich spreche schon seit Jahren davon, dass man den ganzen Rhythmus um zwei Monate nach hinten verschieben müsste. Ich weiß, dass das ein sehr theoretischer Ansatz ist, aber vielleicht führt die aktuelle Situation dazu, dass es so kommt. Wir können diesen Ansatz sofort umsetzen – wenn alle anderen mitziehen. Das heißt, die ganze Fashion-Branche. Es kann doch nur hilfreich sein, mehr Informationen aus dem Verkauf zu bekommen, die Ware später auf die Fläche zu bringen und sie dann auch später zu reduzieren. Die Ware ist doch einfach nicht mehr „ready to wear“ auf den Flächen. Wir können für F/S noch viel saisongerechter offene Ware liefern. Da greift nun unser 10% Sofort-Rabatt, der dem Handel sofort zu Gute kommt. Das ist im übrigen auch das größte finanzielle Volumen innerhalb des Unterstützungspakets, was man sicherlich schnell überschlagen kann.
Zu Ihrem Paket gehört auch, dass Sie Ware für den Handel zurückhalten bzw. einlagern.
Ja. Dafür haben wir derzeit 20.000 qm zusätzliche Lagerfläche angemietet; eine siebenstellige Zahl an Schuhen wird dort eingestellt – auf unsere Kosten. Es ist mir auch wichtig zu betonen, dass wir mit unserem Paket drei Viertel unseres Jahresumsatzes um 30 Tage nach hinten schieben. Das ist auch für uns eine Mammutaufgabe, die wir finanzieren müssen.
Wir gehen davon aus, dass es für offene Ware noch einen guten Abverkaufszeitraum geben wird. Darüber hinaus dürften 20 bis 30% des Angebots Durchläufer sein. Es wäre fatal, diese Schuhe in den kommenden Monaten mit riesigen Rabatten zu verramschen. Man sollte nur das rabattieren, was in der nächsten Saison wirklich nichts mehr wert ist.
Sie haben gesagt, die Corona-Krise wird Ihr Unternehmen noch zwei Jahre beschäftigen. Es ist von sinkenden Umsätzen auszugehen. Mit wieviel Rückgang rechnen Sie?
Wir gehen derzeit von einem zweistelligen Minus aus. In diesem Rahmen könnte die Branche schrumpfen. Einige Marktteilnehmer werden sich, nach dem, was wir gehört haben, in dieser Krise verabschieden. Die Zahl der Verkaufsstellen wird sinken. Für uns wird es damit umso wichtiger sein, den Verbraucher besser zu erreichen und die Partnerschaften mit dem Handel weiter zu intensivieren.
Wie wird sich das globale Business der Schuhbranche verändern?
Es wird Veränderungen auf vielen Ebenen geben. Nehmen wir allein die Produktionsstätten. Dort hagelt es derzeit Stornos, beispielsweise von Auftraggebern aus den USA. Es wird sich vieles verändern. Wir werden in einigen Ländern mit erhöhter Arbeitslosigkeit und insgesamt mit umfangreichen weltwirtschaftlichen Veränderungen konfrontiert werden. Die Zahl der Marktteilnehmer wird weltweit in allen Bereichen sinken.
Die deutsche Schuhbranche war auch schon vor Corona in einer schwierigen Lage. Kreditversicherer und Banken blicken mit größter Skepsis auf unseren Markt. Das dürfte sich noch verschärfen…
Ja, davon ist leider auszugehen. Gerade die Kreditversicherer sind ein entscheidender Faktor. Ich hätte mir gewünscht, dass die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen auch diesen Faktor stärker mit einbeziehen. Denn für uns als Hersteller wie auch für unsere Kunden ist eine ausreichende Absicherung unseres Geschäfts von enormer Bedeutung.
Wie sich Verbraucher nach Corona verhalten werden, darüber wird derzeit viel diskutiert. Was glauben Sie?
Es sind verschiedene Szenarien denkbar. Es gibt Anzeichen, dass der Fashion- und Schuhbereich in China nach dem Shut-Down recht gut performt hat. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen, die vorerst nicht verreisen oder auch ins Restaurant gehen können, Freude an Mode haben. Andererseits sind für viele Haushalte finanzielle Engpässe zu erwarten. Man wird abwarten müssen.
Grundsätzlich sollten wir aber alle – bei allen derzeitigen und nie da gewesenen Herausforderungen – positiv in die Zukunft schauen. Es wird bald eine Zeit nach Corona geben. Und auf die freue ich mich.