„Wie ehrlich wird kommuniziert?“
Roundtable mit Handel und Industrie
- 16.02.2023
- Petra Steinke
- 20 Minuten
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Der Bereich Direct-to-Consumer (D2C) nimmt in der Schuhindustrie an Bedeutung zu. Zum einen steigt die Zahl der Unternehmen, die den Verbraucher direkt adressieren – mit dem eigenen Onlineshop oder eigenen Geschäften. Zum anderen bauen die bereits mit D2C aktiven Unternehmen die Anteiligkeit dieses Segments weiter aus. Die Gründe dafür sind vielfältig: weniger stationäre Händler, die Schwierigkeiten großer Filialisten und der Wunsch, das Storytelling um die eigene Marke selbst zu steuern. Der stationäre Handel sieht sich bei den D2C-Bemühungen der Industrie oft außen vor. Vor diesem Hintergrund trafen sich am 8. Februar Vertreterinnen und Vertreter aus Handel und Industrie zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Neben D2C waren dabei auch die Nachlieferfähigkeit der Hersteller und die Omnichannel-Strategie des Handels wichtige Themen.
Kristin Käpplinger: Wir haben für jede unserer drei Marken einen Onlinestore und diese im Zuge des Markenrelaunchs vor drei Jahren neu aufgestellt. Für uns ist der Onlinestore das Schaufenster für eine Marke. Wir wollen darüber kommunizieren, unsere Geschichte erzählen und unsere Produktvielfalt zeigen, aber auch Kommunikation bezüglich der Themen, die wir neben der Kollektion betreiben, vorantreiben: Nachhaltigkeit zum Beispiel. Wir sehen den Brandstore nicht als großes Vermarktungstool, sondern als Kommunikationskanal.
Kristin Käpplinger: Das war bislang so, aber das ändern wir gerade. Wir werden nicht mehr die kompletten Kollektionen online zeigen. Wir planen hier – auch mit dem Blick auf den Fachhandel, der unser mit Abstand wichtigster Vertriebskanal ist und bleibt – für die Zukunft ein selektiveres Angebot.
Kristin Käpplinger: Aus Verbraucher/innen-Studien wissen wir, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten vor dem Kauf von Kinderschuhen zunächst online recherchieren. Mit unserer Online-Präsenz wollen wir unsere Zielgruppen in dem Kanal abholen, in dem sie gerade nach Information suchen: Hier bieten wir Tipps rund um den Kinderschuhkauf, Unterstützung und Ratschläge. Wir wissen aber auch aus Studien, dass der eigentliche Kauf dann sehr häufig im stationären Handel stattfindet. Denn dort erhalten unsere Konsumentinnen und Konsumenten die Beratung, die den Fachhandel ausmacht. Daher binden wir in unsere Website einen Storefinder zu unseren Fachhandelspartnern ein.
Andreas Neuhaus: Gebt ihr dem Handel auch weitere Unterstützung? Wir haben als Händler immer das Problem, dass wir Sortimente einkaufen müssen. Wenn ihr eure Kollektion online anbietet, gibt es dann auch die Möglichkeit, dass ein Händler Einzelpaare nachbestellen kann?
Kristin Käpplinger: Das bieten wir nicht über den Brandstore an, es ist aber Teil unseres NB-Programms: der Händler kann dort jederzeit auch Einzelpaare als Nachbestellung in unserem B2B-Shop ordern.
Thomas Hüser: Gerade die Einzelpaar-Nachbestellung macht das Ganze für mich sehr spannend. Wenn ich daran denke, wie viel Zeit wir aufwenden, für unsere Kunden Einzelpaare zu finden und nachzubestellen… Es wäre wirklich ein Zusatznutzen, denn im Kinderschuhbereich leben wir von Drehzahlen.
Ralf Grossmann: Dieses Thema kommt auf uns alle zu. Ich habe nach Übernahme der Camel Active-Lizenz auch angekündigt, nur Sortimente anzubieten. Ich wurde aber eines besseren belehrt: Es ist, vor allem in höheren Preislagen, unabdingbar, dass man Einzelpaare anbietet.
Thomas Hüser: Was gar nicht wahrgenommen wird: Wenn ich als Händler einen Schuh nicht mehr nachbestellen kann, ist er im Onlinestore der Marke meist noch verfügbar. Gerade erst habe ich einem Kunden gesagt: Diesen Schuh kann ich Dir erst in ein paar Monaten bestellen. Der war anderntags mit einem Paket vom betreffenden Lieferanten wieder da und meinte: „Sag mir doch gleich, wenn Du Dich nicht um mich kümmern willst. Dann bestelle ich direkt online.“ Das trifft mich ins Mark! Denn das ist meine Kundenbeziehung, die hier vom Lieferanten angegriffen wird. Da würde ich mir andere Wege wünschen.
„Wir gehen nur noch von B2B zu B2B und suchen nach Nachbestellmöglichkeiten. Das ist anstrengend!“
Claudia Holbach|Schuhhaus Wagner
Roman Degenhardt: Ich musste in den Jahren 2016 bis 2018 einige Standorte schließen, weil der stationäre Umsatz es nicht mehr gerechtfertigt hat, dort ein Geschäft zu betreiben. Auch mussten an den verbleibenden Standorten Marken ausgelistet werden, weil wir mit ihnen nur um die 40% Abverkauf erreicht hatten. Wir wurden 2017 an Gaxsys angeschlossen. Damit hat Zalando damals den Handel an den Verkäufen von Artikeln, die demnächst bei Zalando ausverkauft sein würden, teilhaben lassen. So konnte Zalando die betreffenden Schuhe länger online sichtbar halten. Gaxsys war der Vorläufer von Connected Retail und wurde leider im August 2022 eingestellt. Das Konzept war aus meiner Sicht sehr innovativ und sowohl für den Händler und Zalando lukrativ. Was ist da passiert? Genau die Artikel, die wir ausgemustert hatten, oder Marken, die wir gar nicht mehr führen konnten, weil an unseren Standorten die Abverkäufe nicht mehr ausreichten, waren online bei Gaxsys gut nachgefragt. Das hat dazu geführt, dass wir unser Orderverhalten wieder veränderten und die besagten Marken wieder aufgenommen haben. Ich wusste: Zu meinem Abverkauf von ca. 40% stationär kommt über Zalando noch etwas dazu, sodass ich auf 80% bis 85% Abverkauf komme. Somit schafften wir dank Multichannel die Trendwende und konnten zwei weitere Schließungen aussetzen. Wir konnten dadurch sogar in diesen Standorten wieder ein breiteres Angebot an Artikeln im Geschäft anbieten, als wenn wir nur den Bedarf für die stationären Kunden eingekauft hätten.
Stephan Krug: Du sagst also, du könntest bestimmte stationäre Standorte nicht betreiben, wenn Du nicht omnichannel unterwegs wärst, weil nur der zusätzliche Absatzkanal online die notwendigen Abverkäufe generiert?
Roman Degenhardt: Das ist bei mir mittlerweile bei über der Hälfte der Filialen der Fall. Der stationäre Umsatz vor Ort reicht oft nicht mehr aus, um das Geschäft wirtschaftlich und ohne Multichannel zu betreiben. Aber zurück zu D2C: Ich bin mir sicher, dass der überwiegende Anteil der stationären Händler demnächst einen gewissen Multichannel-
Umsatz braucht, um weiterhin bestimmte Standorte wirtschaftlich betreiben zu können.
Stephan Krug: Du plädierst also für eine Einbindung der Händler in das Onlinegeschäft der Marken. Gabor arbeitet mit einem solchen kooperativen Modell. Ist das aus der Sicht von Gabor ein Erfolgsmodell?
Ralf Meurer: Wir haben 2017 angefangen, einen Onlinemarktplatz aufzusetzen, und wir haben uns im Vorfeld viele Gedanken gemacht. Wir sind der Meinung, zu einer guten Marke gehört das heute einfach dazu. Marken, die sich online nicht selber präsentieren, tun sich schwer, im Netz ihre Philosophie darzustellen, gerade weil man online auch viele Zusatzbotschaften kommunizieren kann. Das kann das Thema Nachhaltigkeit sein, aber auch die Idee, für die eine Marke steht und dass es auch einen Inhaber gibt, der mit seinem Namen hinter der Marke steht. Es ist für uns interessant zu sehen, wohin die Verbraucher auf unserer Seite klicken. Der Händler ist immer auch ein gewisser Filter. Über unseren eigenen Shop bekommen wir unmittelbare Informationen, die auch in unser Tun einfließen, etwa in die Kollektionsgestaltung. Und das kommt wiederum dem Handel zugute. Einzelpaar-Bestellungen bieten wir seit sage und schreibe 32 Jahren an. Das ist aufwändig. Wir legen für den Handel pro Jahr ungefähr 1 Mio. Paar Schuhe aufs Lager – auf unser Risiko. Weltweit kommen wir auf 20% Nachordervolumen. 30% aller Nachaufträge, die bei uns eingehen, sind Einzelpaare. Wir sehen das als Service unseres Unternehmens an, bestellbar über unseren B2B-Shop, wo sich jeder Kunde selber informieren kann.
Ralf Meurer: Grundsätzlich ja, aber schaut sich das jemand an? Natürlich zeigen wir online unsere Marke in einer Tiefe, wie sie der Handel meist nicht präsentieren kann. Unsere Kollektion ist international und es gibt vieles, was ein deutscher Händler möglicherweise gar nicht braucht.
Thomas Hüser: Den Gedanken „Nur eine Homepage“ würde ich nicht einfach abtun. Viele Eltern wollen sich zum Thema Kinderschuhe informieren. Die würden auf eine Website gehen und sich schlau machen, sich auf den Einkauf vorbereiten. Ich verstehe aber, wenn Du sagst: Das Geschäft möchte ich auch machen. Schwierig wird es aber, wenn ich vom Außendienst aufgefordert werde, Postings ihres Lieferanten zu liken, der dann auf den Herstellerwebshop verweist. Inzwischen weiß ich bei all der strategischen Vielfalt der Industrie gar nicht mehr, welche Rolle sie mir als Händler auf Dauer zugestehen will. Wie ehrlich wird mit mir kommuniziert? Wenn ich im Lehrbuch für unsere Auszubildenden nachschlage, welche Funktion der Einzelhandel hat, dann sehe ich z.B.: Kuratieren der Kollektionen – ja, da bin ich noch relativ frei. Kundennähe – die wird doch immer häufiger torpediert! Zwei Beispiele habe ich schon genannt. Ein weiteres sind die Daten, die vom Lieferanten bei Gewinnspielen eingesammelt werden. Wenn man sich registriert, zahlt das ein auf das Marketing der Kollegen, die z.B. an die Hersteller-Plattform angebunden sind? Oder dient es letztlich das eigene Marketing des Herstellers auszubauen? Werden die Daten auf Dauer genutzt, eigenes Geschäft mit „meinen“ Kunden zu generieren. Ich würde mir viel mehr Klarheit wünschen. Ich kann damit leben, dass ein Hersteller mir sagt: Wir wollen unser Business langfristig auf diese und jene Weise aufbauen. Dazu gehört für uns der Onlinebereich. Dann benötige ich aber auch die Aussage: Deine Rolle für uns sehen wir auf Dauer so und auf diese Weise werden wir Dich dabei unterstützen.
„Inzwischen weiß ich gar nicht mehr, welche Rolle die Industrie mir als Händler zugestehen will.“
Thomas Hüser|Schuhhaus Hölscher
Ralf Meurer: Für die Klarheit kann man sorgen. Für uns kann ich sagen: Der Handel liegt uns sehr am Herzen, sonst würden wir die ganzen Service-Bausteine nicht anbieten. Auch in schwierigen Zeiten haben wir damit nicht nachgelassen. Der Einzelpaarservice gehört für uns dazu, die Nachbestellung ebenfalls. Der Handel bekommt Drehzahlen und gute Kalkulationen. Auch darum haben wir uns entschieden, dass wir unseren Onlineshop mit dem Handel gemeinsam aufsetzen.
Andreas Neuhaus: Der Service, den Ihr bietet, ist eine Selbstverständlichkeit! Ihr verlangt von uns, die Marke in einem perfekten Umfeld zu präsentieren. Wir müssen jedweden Service bieten, damit wir der Marke gerecht werden. Einzelpaarbestellungen sind aus meiner Sicht ein Must-have: etwas, das die Industrie bieten muss. Da muss ich Lloyd mal loben. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit, um auf beiden Seiten erfolgreich und rentabel arbeiten zu können, leider ist der Handel aktuell nicht in der Lage bei der fehlenden Manpower und den Anforderungen der Digitalisierung alles zeitgerecht umzusetzen
Andreas Schaller: Wir generieren 55% unseres Geschäftes in Deutschland mit Nachsortierungen inklusive Einzelpaaren. Das ist ein nicht unerhebliches Risiko, welches wir eingehen. Das tun wir, weil das unsere Art ist, den Handel zu unterstützen. Eines aber sollten wir nicht vergessen: Wir haben einen eigenen Onlineshop und eigene Geschäfte. Die Erfahrungen, die wir daraus ziehen, wirken sich auf unsere Kollektionen und Produktionsmengen aus. Wenn etwa bestimmte Schuhe im Onlineshop gut laufen, dann haben wir den Vorteil der eigenen Produktion und können dem Handel schnell Schuhe zur Verfügung stellen, die wir vielleicht vorher gar nicht auf dem Schirm hatten. Dafür haben wir unser Move-Konzept entwickelt, bei dem praktisch nur noch Leder und Material hingelegt werden und der Schuh binnen einer Woche produziert werden kann. Diese Dinge entwickeln sich aus der D2C-Erfahrung heraus. Hinzu kommt: Lloyd steckt oft immer noch in der Schublade „Klassischer Herrenschuh“. Wir haben die eigenen D2C-Aktivitäten gelauncht, weil wir den Konsumenten deutlich machen wollten, dass wir auch für etwas anderes stehen. Das ist ganz wichtig und zum Vorteil des Einzelhandels. Auch das Schaufenster der Marke ist wichtig, online und offline. Wir haben in den Geschäften die Möglichkeit, Lloyd so darzustellen, wie wir uns das wünschen. Wir haben den direkten Durchgriff. Auch das ist wichtig für die Markenbildung, für die Entwicklung und für die langfristige Perspektive der Marke.
„Ich sehe, dass unsere Flächen oft früh ausbluten, wenn wir zu früh Ware online verkaufen.“
Roman Degenhardt|Der Schuhladen Bebra
Stephan Krug: Wir haben einen Nachorderanteil von etwas weniger als 15%. Es ist wichtig, dass wir in eine höhere Anteiligkeit kommen, weil sonst das Geschäftsmodell nicht rund laufen wird und wir immer zu viel von den falschen und zu wenig von den richtigen Schuhen im Handel haben.
Thomas Hüser: Dinge wie Nachlieferfähigkeit und Zusatznutzen sehe ich nicht einfach als Selbstverständlichkeit und honoriere das. Wir werden unser Einkaufsverhalten auf diese Zusatznutzen ausrichten. Verstärkt werden wir bei Firmen ordern, die uns zusätzliche Services anbieten. Diese Anstrengung der Industrie sehe ich durchaus und bin auch bereit mich hier deutlich zu comitten und für Verbindlichkeit zu sorgen. Inzwischen habe ich aber keine Lust mehr auf Firmen, die mich gängeln.
Kristin Käpplinger: Du hast einen Kinderschuhanteil von 45%. Wir siehst du das Thema Nachbestellungen in diesem Bereich?
Thomas Hüser: Da, wo wir es können, nutzen wir dieses Angebot intensiv. Die letzten beiden Jahre waren von der Panik geprägt, ob wir noch Ware bekommen. Meine Frau hat ein neues Hobby nach Ladenschluss: Schuhe jagen.
Kristin Käpplinger: Wir liegen im Kinderschuhbereich bei einer Nachorderquote von 20%. Die Komplexität bei der Nachorder von Kinderschuhen ist hoch, denn wir fangen bei Größe 18 an und gehen bis 42. Es ist für uns ein Risiko, wenn wir die Nachorder erhöhen, die wir teilweise schon mit der Erstorder platzieren müssen, um wirtschaftlich effizient produzieren zu können. Denn die Handwerklichkeit, einen Kinderschuh herzustellen, ist komplex – mindestens ebenso wie die Fertigung eines Damenschuhs.
Thomas Hüser: Ich verstehe das, aber das ist doch für mich nicht anders. Wenn ich auf der Messe bin, habe ich das gleiche Problem bei der Vororder. Bei all den Problemen, die das einem Lieferanten bereitet, werden wir uns stärker an denen orientieren, die diese Möglichkeiten schaffen.
„Online machen wir mit Camel Active genau das gleiche wie bei Gerli: Wir haben keinen eigenen Onlineshop. Anfragen leiten wir weiter, wie wir das bislang auch gemacht haben.“
Ralf Grossmann|Dockers by Gerli, Camel Active Shoes
Ralf Meurer: Unseren D2C-Shop betreiben wir in Deutschland gemeinsam mit 50 Händlern. Viel mehr werden es wahrscheinlich nicht werden, denn es sind gewisse Bedingungen an die Teilnahme geknüpft. Sie brauchen eine bestimmte Kollektionsbreite und -tiefe. Wenn man pro Saison 120 Artikel ordert, kann man damit relevant teilnehmen. Für uns ist zudem die Botschaft wichtig: Dies ist ein Gabor-Onlineshop. Das Päckchen, das beim Kunden ankommt, muss aussehen, als sei es von uns verschickt worden. Der Händler muss also das Gabor-Verpackungsmaterial bevorraten. Zudem muss die Bestellmenge für die teilnehmenden Händler eine gewisse Relevanz haben. Und es muss schnell gehen bei Versand und Abwicklung, sprich Retouren. Wer das nicht kann, ist aus dem Rennen. Wir gehen grundsätzlich so vor, dass, wenn ein Verbraucher einen Artikel bestellt, diese Bestellung erst einmal an die Händler geht. Wir nennen das ganz knackig „Händler first“. Wir wollen diesen Kanal so befeuern, dass der teilnehmende Handel zusätzliche Umsätze mit Gabor machen kann. 70% der Orders, die über unseren Onlineshop kommen, werden von den Händlern bedient. 30% der Bestellungen bedienen wir selber aus der eigenen Logistik. Ziel ist es dabei auch, Split-Sendungen zu vermeiden.
Stephan Krug: Liegen die Marketingrechte bei Gabor?
Ralf Meurer: Der ganze Auftritt wird von uns gestaltet, wir haben hochwertige Fotos und guten Content. Das ist ein enormer Aufwand geworden. Die Vermarktungsrechte nutzen wir. Wir gestalten Newsletter z.B. über neue Produktlinien. Wenn wir neue Dinge ausprobieren, können wir sie über eigene Newsletter pushen, um bei einer neuen Gruppe auf produktionsrelevante Mengen zu kommen. Und man sieht extrem früh, wo sich etwas bewegt. Wenn wir heute die ersten Slings online stellen und dann sehen, der Artikel wird 18-mal bestellt, dann ist da Musik drin.
Thomas Hüser: Diese Information wäre doch auch für mich hilfreich. Kann man nicht auch den Händler partizipieren lassen nach dem Motto: Nach unseren Informationen fließen gerade diese und jene Themen gut ab, überlegt doch mal, ob Ihr das nicht prominenter im Geschäft präsentiert. Mein Wunsch an die Industrie lautet: Hilf mir, es selbst zu tun. Und solche Tipps gehören für mich dazu
Ralf Meurer: Ob ein solches Thema auf Deiner Fläche dann genauso funktioniert wie online, das wäre die Frage.
Roman Degenhardt: Wir verkaufen viel untypische Ware im Netz, auch weil sie auf der Fläche noch nicht da ist. Die Leute gehen ins Internet, weil sie die Ware in den Läden nicht finden. Und was sich manchmal im Internet als Hype entwickelt, ist nicht immer auf die Fläche übertragbar.
„Für uns ist der Onlinestore das Schaufenster für eine Marke. Wir wollen darüber kommunizieren, unsere Geschichte erzählen und Produkte zeigen.“
Kristin Käpplinger|Legero United
Roman Degenhardt: Wir verkaufen viel untypische Ware im Netz, auch weil sie auf der Fläche noch nicht da ist. Die Leute gehen ins Internet, weil sie die Ware in den Läden nicht finden. Und was sich manchmal im Internet als Hype entwickelt, ist nicht immer auf die Fläche übertragbar.
Andreas Schaller: In den Stores und online erhalte ich einen Überblick über das, was gerade in Deutschland disponiert ist. Für das Einzelgeschäft muss das keine Gültigkeit haben. Ein Händler bekommt von uns vielleicht keine direkten Informationen dazu, was gerade online gut läuft. Aber er spürt das sehr wohl im Hintergrund, weil die Nachsortierfähigkeit von bestimmten Artikeln, mit denen wir gute Erfahrungen machen, höher ist. Es ist ein leiser Prozess, von dem Händler gar nichts mitbekommen, weil wir die Entscheidung treffen, die Schuhe ins Lager zu nehmen.
Thomas Hüser: Wenn ich Industrie und Handel als Partner sehe, für die diese Partnerschaft der Schlüssel zu mehr Ertrag und Umsatz ist, dann gilt es doch, die Strukturen und Informationen in beide Richtungen durchlässiger zu machen. Das ist es, was mir fehlt. Das gilt auch für den Bereich Marketing. Ich weiß, dass sich den Marketingverantwortlichen der Lieferanten die Haare sträuben, wenn sie manche Anzeigen sehen, die Händler selbst gebaut haben. Andererseits erhalte ich von Herstellern CI-Guides mit 24 Seiten. Da komme ich als Händler dann auch nicht mehr durch. Und bei der Verwendung der vorgefertigten Layouts habe ich immer Sorge, – gerade im Social Media-Bereich – dass die Urheberrechte nicht einwandfrei geklärt sind.
Ralf Meurer: Wenn man eine internationale Kollektion hat, stellt man enorme Unterschiede fest. Du glaubst nicht, wie unterschiedlich die Konsumenten im Norden, Süden, Osten und Westen sind, selbst zwischen Münsterland und Köln. Deshalb ist die Idee, dem Handel Informationen zu den Online-Verkäufen bestimmter Modelle zu geben, vielleicht nicht sinnvoll. Hinzu kommt: Manchmal ploppt ein Thema im Netz auf und man ist ganz heiß darauf – und zwei Wochen später ist es schon wieder vorbei.
Stephan Krug: Die Informationen über D2C bekommt der Lieferant aber in einem Monobrand-Umfeld. Das ist ein Unterschied zum Multibrand-Umfeld, wo man mit anderen Marken konkurriert. Ja, man bekommt im eigenen Laden schon eine Idee davon, was im solitären Umfeld einer Marke gut läuft. Aber das kann im Multibrand-Handel anders aussehen.
Ralf Meurer: Als Händler muss man sehen, wie viel der Omnichannel-Verkauf von der Fläche wegnimmt. Unter Umständen macht man sich mit Online das Leben auf der Fläche schwer. Das haben wir bei Franchisepartnern schon gesehen. Für die Industrie ist es schon nicht einfach, die eigene Online-Strategie umzusetzen. Und für den Handel ist es wirklich herausfordernd. Das läuft nicht nebenbei. Man muss wirklich zum Experten werden.
Roman Degenhardt: Ich sehe, dass unsere Flächen oft früh ausbluten, wenn wir zu früh Ware online verkaufen.Es gibt aber auch Konzepte von Kollegen, die Artikel z.B. erst 60 Tage nach Wareneingang in den Onlinekanal führen. Sie geben den stationären Kunden zunächst die Chance, sich zu bedienen. Und schauen dann, dass die Reste und Randgrößen rausfließen. Das unterstützt den stationären Händler, wieder Platz für neue Ware zu machen. Daher bin ich der felsenfesten Überzeugung, dass mehr als 75% der Händler in den nächsten Jahren einen gewissen Multichannel-Anteil brauchen, um ihre Standorte wirtschaftlich betreiben zu können.
„Wir generieren 55% unseres Geschäftes in Deutschland mit Nachsortierungen inklusive Einzelpaaren.“
Andreas Schaller|Lloyd Shoes
Stephan Krug: Was ist für einen Onlinehändler mit Fokus auf das stationäre Geschäft ein gesunder Onlineanteil?
Roman Degenhardt: Der stationäre Handel hat in den letzten drei bis vier Jahren ca. 20% Umsatz verloren. Die muss er sich über Multichannel wieder reinholen. Ein gesunder Online-Umsatzanteil liegt zwischen 20 und 25%.
Thomas Hüser: Da hätte ich Bauchschmerzen. Wenn ich in diese Größenordnung vorstoßen würde, bräuchte ich eigenes Personal für Marketing und Logistik, ein eigenes Warenlager und, und, und. Bei 15% blinken bei uns die ersten Warnleuchten auf.
Ralf Grossmann: Ist es denn sinnvoll, Ware online später anzubieten als stationär? Sind es die gleichen Kunden, die online und stationär kaufen? Für mich ist das ein anderer Kundenkreis.
Roman Degenhardt: Jedes Unternehmen sollte seine eigene Strategie im Multichannel finden. Ich möchte früh feststellen, welcher Artikel online läuft, weil ich dann ebenso früh versuchen kann, Menge auf diese Artikel zu spielen. Das bereitet mir aber auf der Fläche Probleme.
Andreas Schaller: Dieses Thema kennen wir auch: Es wird für online und offline disponiert. Dann läuft online hervorragend und es heißt: Schickt uns doch Ware von offline rüber. Was dann bedeuten würde, dass wir die Ware nicht mehr auf der Fläche haben. In der Regel wollen alle den gleichen Schuh haben, aber offline etwas zeitversetzt.
Ralf Meurer: Die Problematik ist bekannt. Nehmen wir die Großfilialisten: Auf deren großen Flächen läuft das Geschäft an. Dann holen sie sich die Ware von den kleinen Flächen. Diese bluten aus.
Stephan Krug: Wie hoch ist der D2C-Umsatz von Lloyd?
Andreas Schaller: Man muss unterscheiden zwischen Euro und Paarzahl. Aber wir haben eine relativ hohe Anteiligkeit.
Stephan Krug: Was hat der Händler davon?
Andreas Schaller: Der Handel profitiert, dass wir unsere Erfahrungen an ihn weitergeben. Das gilt auch für unsere Monobrandstores. Sie sind wichtig für die Markenbildung, die Präsenz und die Darstellung der Marke. Wir werten das sehr genau aus. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass, wenn wir einen Store eröffnet haben, bei keinem unserer Kunden eine Verschlechterung der Umsätze feststellbar war – im Gegenteil. Oft gab es sogar eine Verbesserung oder es wurden neue Kunden am Standort hinzugewonnen. Sicher, es gibt auch Ausnahmen, die jedoch als Reaktion auf unseren Store die Darstellung verschlechtert und das Angebot verkleinert haben. Aber ich bereue nicht, dass wir diesen Schritt gegangen sind.
Claudia Holbach: Der Industrie geht es darum, Daten zu sammeln. Und das direkt vom Endverbraucher. Wir Händler haben auch Daten. Was wir brauchen, ist ein besserer Austausch: Wie sind die Abverkäufe, wo liegt die LUG und was ändert sich? Und andererseits sollten wir Händler sehen, was überhaupt verfügbar ist. Wir gehen nur noch von B2B- zu B2B-Shop und suchen nach Nachbestellmöglichkeiten. Das ist anstrengend. Es muss in die Richtung gehen, dass wir in der Warenwirtschaft die Verfügbarkeiten gleich mehrerer Hersteller sehen.
„Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit, um auf beiden Seiten erfolgreich und rentabel arbeiten zu können.“
Andreas Neuhaus|Schuhhaus Winterscheidt
Ralf Meurer: Das hat bislang nicht funktioniert, weil die Systeme nicht vorhanden oder zu unterschiedlich waren. Und man kann es sich vielleicht nicht vorstellen, aber wir haben tatsächlich Händler, die wir im Beratungsgespräch fragen, wie denn die letzte Saison mit unseren Schuhen gelaufen ist, und selbst diese wollen die Information nicht teilen.
Andreas Schaller: Es stimmt nicht, dass wir der Meinung sind, der Handel könne unsere Marke nicht richtig präsentieren. Aber wenn wir es selbst machen, gibt es mehr Berechenbarkeit – auch für den Handel. Nehmen wir das Beispiel Reduzierungen. Wir sind höchst sensibel, was Reduzierungen betrifft, und wir werden den Teufel tun, hier der erste zu sein – weder online noch offline. Das wäre schließlich kontra-
produktiv.
Stephan Krug: Dafür gibt es aber auch andere Beispiele, indem Hersteller schon früh in der Saison reduzieren. Wenn jemand das so betreibt, dann verbrennt man die Marke für den Handel. Die Konsequenz muss sein, sie auszulisten.
Andreas Schaller: Wir wollen ja unserer eigenen Marke nicht schaden.
Stephan Krug: Sich online präsentieren, ist das eine. Online zu verkaufen ist das andere. Aber dann noch online permanent reduziert zu verkaufen, das trägt weder zur Markenbildung bei noch zum Wohle des Händlers bei. Und da ist für mich die Grenze erreicht.
Ralf Grossmann: Für uns war es ein Relaunch. Wir haben bei Null angefangen, enorm in die Kollektion investiert und versucht, Schuhe für den typischen Camel Active-Kunden zu machen. Das Thema Einzelpaare haben wir gelöst. Eine gute Nachlieferfähigkeit bieten wir im Übrigen auch mit Dockers an. Ansonsten versuchen wir, die Marke preislich da zu positionieren, wo Dockers aufhört. Online machen wir genau das gleiche wie bei Gerli: Wir haben keinen eigenen Onlineshop. Anfragen von Endverbrauchern leiten wir weiter, so wie wir das bislang auch gemacht haben. Wir werden unsere Marke aber natürlich auf der Homepage des Lizenzgebers präsentieren.
Ralf Grossmann: Dafür würde sprechen, dass ich die Kunden besser kennen lernen könnte. Ein anderer Aspekt ist sicherlich die Marge. Wir arbeiten aber nach dem Motto „Schuster, bleib bei Deinem Leisten.“ Wir wollen gemeinsam mit dem Handel wachsen. Hinzu kommt: Für D2C braucht es die Logistik, das Personal und noch mehr Content, das ist mit viel Aufwand verbunden. Wir haben uns entschieden, in diesen Bereich nicht zu investieren.
„Der Handel liegt uns am Herzen, sonst würden wir die ganzen Service-Bausteine nicht anbieten.“
Ralf Meurer|Gabor
Ralf Meurer: Es ist auch nicht so trivial wie es aussieht. Die Erwartungshaltung steigt täglich. Alles soll nach 24 Stunden da sein, besser noch am gleichen Tag. Und dann die Flächenbevorratung, das Personal, die Technik – das macht sich nicht von allein.
Thomas Hüser: Das stimmt. Wenn ich einem Kunden sage, der Schuh kommt erst in drei, vier Tagen, dann steigt er ins Auto und bestellt den Schuh noch auf dem Parkplatz online.
Ralf Meurer: Wenn wir sehen, was wir in den letzten Jahren an Handelsflächen verloren haben, müssen wir feststellen, dass wir das online nicht kompensieren konnten. Man kann es abfedern, ja, aber es gibt keinen 1:1-Ausgleich. Wir lieben unseren Fachhandel, denn er präsentiert unsere Marke auf unterschiedliche Weise mal mehr nach unserem Geschmack und mal weniger. Und viel hängt davon ab, wie das Umfeld des Händlers aussieht. Aber der Handel hat über die Jahrzehnte aus den Marken das gemacht, was sie heute sind.
Thomas Hüser: Mir wird es heute viel zu schwer gemacht, die Geschichten von Marken zu erzählen. Wie schnell komme ich an Infomaterial über die neu georderten Kollektionen? Einige machen das ganz klasse – nach dem Auftrag gibt es gleich ein Infosheet zu den georderten Schuhen. Das macht es leicht, die Marke den Mitarbeitern zu vermitteln. Die ist eine Riesenherausforderung für mich: Mir werden zum Beispiel die neuen Lloyd-Damenschuhe-Modelle präsentiert. Diese haben zum Beispiel tolle, neue Features. Aber sie kommen erst in einem halben Jahr! Dann sind die Infos schon längst irgendwo verschollen. Macht es uns doch leichter!
Andreas Neuhaus: Was Gabor hier präsentiert, ist ein Konzept. Wir brauchen viel mehr davon. Über die Jahre sind viele Händler aus dem Markt verschwunden. Aber es gibt ja immer nur Wachstum, es müssen also mehr Schuhe verkauft werden. Das verstehe ich auch, aber das muss ja nicht allein über den eigenen Onlineshop erfolgen. Man kann auch am Produkt arbeiten. Klar ist: Wir werden an D2C nicht vorbeikommen. Das Internet bestimmt unser Leben. Darum brauchen wir Konzepte, damit der Handel davon auch profitieren kann. Es ist aber wichtig, dass neben der Diskussion auch echte Strategien und Konzepte geschaffen werden und diese dann auch umgesetzt bzw. getestet werden. Eines ist klar: Der Motor des Landes ist die Wirtschaft. In der Politik haben wir genug Diskussionen und nichts geht wirklich weiter. Der Mittelstand, das sind die Macher.
Andreas Schaller: Das Internet hat auch positive Aspekte. Die müssen wir ausnutzen. Aber das tun zu wenige. Zum Thema Content: Wir sind schon lange in der Fashion Cloud dabei. Jeder hat die Möglichkeit, sich dort anzumelden und sich Content herunterzuladen. Wir stellen Filme, Fotos und Texte in die Fashion Cloud. Wir arbeiten mit der Lernplattform Myagi. Auch das muss mit Content gefüllt werden. Es ist aber erschreckend, wie wenige Händler dieses Angebot nutzen.
Andreas Neuhaus: Ein ganz wichtiges Element wird immer wieder vergessen: die Manpower im Handel. Ihr müsst bedenken, wir sind Einzelhändler, wir haben schon seit Jahren das Problem mit dem Personal.
Ralf Meurer: Auch bei uns ist die Zahl der Downloads von Content sehr gering. Wir versuchen das anzuschieben, aber da muss noch viel passieren. Wir powern jedenfalls, so viel es geht. Die Frage ist, wie bekommen wir es hin, dass das Material wirklich heruntergeladen und genutzt wird, und dass ein solches Angebot als genauso sympathisch empfunden wird wie ein Newsletter.
Claudia Holbach: Wir Inhaber werden mit Newslettern zugeschüttet. Ich bekomme so viele Mails am Tag, dass ich sie mir manchmal gar nicht mehr anschaue. Letztlich müssten solche Informationen an diejenigen gehen, die die Schuhe verkaufen. Mein Team ist Markenbotschafter, wenn ein Produkt ihr Herz erwärmt. Wenn sie mehr über einen Schuh wissen, verkaufen sie ihn auch besser. Ich würde mir wünschen, dass die Hersteller viel mehr auf die Fläche kommen und wieder einen Bezug zu den Händlern erhalten.
Roman Degenhardt: Ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht, wie die Zusammenarbeit von Handel und Industrie verbessert werden kann. Mich erschreckt, wenn ich höre, wie wenige Händler ihre Daten der Industrie zur Verfügung stellen. Wir müssen es schaffen, dass der Händler einen Vorteil darin sieht. Dass er beispielsweise vom Vertreter beraten wird, wenn dieser sieht, was verkauft wurde. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Industrie auf der Homepage und dem Markenonlineshops anzeigt, wo in der Nähe ein gewünschtes Produkt auch im stationären Handel abgeholt werden kann, und der Endkunde dann entscheidet: Will ich wirklich ein paar Tage auf das Paket warten oder fahre ich in der Nähe ins Geschäft und probiere den Schuh dort direkt an? Amazon wird das demnächst einführen. Dafür muss die Industrie unsere Daten haben und wissen, welche Artikel ein Schuhhaus im Sortiment hat.