Herr Degenhardt, Sie sind seit gut 14 Tagen neues Mitglied im Präsidium des BTE. Warum haben Sie sich zur Wahl gestellt?
Roman Degenhardt: Ich wurde 1972 im Schlafzimmer direkt über dem elterlichen Schuhgeschäft geboren und bin sozusagen im Schuhkarton und in der Lurchi-Abteilung aufgewachsen. Mein Herz hängt am Handel und insbesondere am Schuhhandel. Ich bin dieses Jahr 50 Jahre alt geworden. Das war für mich Anlass, einige Überlegungen anzustellen: Welche Ziele habe ich, was möchte ich verändern? Vor einiger Zeit wurde ich vom Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Hessen Nord e.V. angesprochen, in dem ich mich schon seit 26 Jahren engagiere. Er fragte mich, ob ich nicht zusätzlich zu meiner Tätigkeit im Einzelhandelsverband auch im Fachverband mitwirken möchte. So kam es zum Gespräch mit Herrn Prof. Jacobs und Herrn Pangels vom BTE. Ich habe dann beschlossen, mich den Delegierten zur Wahl zu stellen, und wurde am 21. September einstimmig in das BTE-Präsidium gewählt.
Damit ist der Schuhhandel etwas besser in dem Gremium repräsentiert – mit Ihnen und Carsten Obermeier aus Hannover sind nun zwei Unternehmer der Branche im BTE-Präsidium vertreten.
Roman Degenhardt: Korrekt. Wir haben den Schuhanteil verdoppelt! Ich habe mit Carsten Obermeier nach der Delegiertenversammlung ein längeres Gespräch geführt. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen und in Zusammenarbeit mit Prof. Jacobs und Herrn Pangels in der nächsten Zeit einige Themen angehen.
Welche Themen liegen Ihnen dabei besonders am Herzen?
Roman Degenhardt: Ein Thema hat sich für mich in den zurückliegenden Monaten sehr deutlich herauskristallisiert: die Erhöhung des Stellenwerts von Schuhen beim Verbraucher. Ich glaube, dass die Branche in den letzten Jahren in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten an Bedeutung verloren hat. Da waren wir vor 20 Jahren besser aufgestellt; der Schuh hatte damals gefühlt einen höheren Stellenwert beim Konsumenten. Heute haben sich einige Branchen ein Teil unseres Kuchenstücks abgeschnitten. Für viele Leute ist es wichtiger, das richtige Handy in der Hand zu haben, als den richtigen Schuh am Fuß. Auch die Möbelbranche hat ihren Stellenwert verbessert. Bei den Schuhen ist zuletzt wenig passiert. Darüber sollten Handel und Industrie gemeinsam sprechen. Auch das DSI sollte hier eine Rolle spielen. Ich habe da ein paar Ideen, die man diskutieren sollte, um das Produkt Schuh beim Endverbraucher präsenter zu machen.
Was bewegt Sie darüber hinaus?
Roman Degenhardt: Momentan ist eines der wichtigsten Themen die Rentabilität der Schuhhändler. Es ist leider so, dass wir mit extremen Kostensteigerungen zu kämpfen haben. Die Personalkosten steigen im Handel gerade aufgrund der Mindestlohnanpassungen und des Arbeitskräftemangels extrem an: Wir sprechen über Mehrkosten in Höhe von 3,0 bis 3,6% bei einer Rendite zwischen 1,5 bis 2,5%. Allein die Personalkostensteigerungen übersteigen also die üblichen Renditen. Und es kommt in weiteren Bereichen zu Kostensteigerungen, nehmen wir allein die Themen Energie oder Indexmieten. Wir sollten also konstruktiv darüber reden, wie das kompensiert werden kann. Eine Branche kann nicht auf Dauer davon leben, dass sie mehrere Saisons Geld drauflegt. Das heißt nicht nur, dass wir über die Soll Kalkulationen sprechen sollten, sondern das heißt auch, dass wir über das Vermeiden von Reduzierungen sprechen müssen. Hierfür wäre es gut, wenn ein Austausch bzw. Dialog zwischen Marken und Händler stattfinden würde. Wahrscheinlich werden wir aber auch mit der Politik über die Frage reden müssen, wie sie uns bei diesen Themen helfen kann. Denn wenn ganze Branchen längere Zeit einen negativen Ertrag haben, wird es zur Folge haben, dass früher oder später einige Betriebe schließen müssen oder Steuerberater von der Fortführung eines Unternehmens abraten.
Welche Rolle kann der BTE in diesem Zusammenhang spielen?
Roman Degenhardt: Der BTE ist ein Fachverband des HDE. Er kümmert sich um die fachspezifischen Dinge des Textil-, Schuh- und Lederwareneinzelhandels und hat dabei insbesondere die Belange und Interessen des mittelständigen Fachhandels im Blick. Aktuell steht unter anderem die Überarbeitung der Warengruppen auf der Agenda. Nicht zu vergessen das ganze Thema Nachhaltigkeit, das der Verband in Richtung Politik adressiert und bei dem er als Ansprechpartner fungiert. Der BTE sollte, wenn es um fachspezifische Dinge geht, in den Dialog mit der Politik eingebunden werden. Politiker reagieren meist positiv und entwickeln Verständnis, wenn sie Unternehmern gegenüberstehen und nicht nur den Geschäftsführern der Verbände.
Wünschen Sie sich mehr Präsenz des Schuhhandels im BTE?
Roman Degenhardt: Mit zwei Personen sind wir noch unterbesetzt – ja. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir bei der nächsten Wahl noch weitere Personen aufnehmen werden. 18 Mitglieder dürfen im Präsidium des BTE sitzen – es sind also noch Plätze frei.
Die aktuelle Situation könnte schwieriger nicht sein. Der Schuhhandel wurde durch Corona mächtig gebeutelt, und jetzt kommt noch eine viel tiefere Krise. Wie kann man sich rüsten – und wie rüsten Sie sich dafür?
Roman Degenhardt: Mit der derzeitigen Kaufzurückhaltung und einer hohen Inflation, die es in der Nachkriegszeit so noch nie gegeben hat, stehen wir vor einer ganz neuen Dimension und ich habe höchsten Respekt vor dem, was da auf unsere Branche zukommt. Das ist meiner Meinung nach noch eine Liga stärker als Corona. Durch die Pandemie sind die meisten Händler auch dank staatlicher Hilfen recht gut durchgekommen. Jetzt ist es an der Zeit, zu schauen, wie sie die neue Krise überstehen können. Es ist unzweifelhaft, dass es eine harte Zeit wird. Wenn die Kaufzurückhaltung weiterhin zunimmt, weil permanent Verunsicherung geschürt wird, kann das schon enorme Ausmaße erreichen. Wie ich mich rüste? Natürlich steht bei mir momentan kostentechnisch alles auf dem Prüfstand. Wir schauen, wo wir noch Einsparungspotenziale haben, etwa indem wir Öffnungszeiten verändern, was dann natürlich auch wieder bedeutet, es könnte ein gewisser Umsatz wegfallen. Wir schauen, ob wir die Personalplanung noch optimieren können. Aber viele Einsparungsmöglichkeiten gibt es nicht mehr, denn es ist in den letzten Jahren schon viel optimiert worden. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dass der Handel gemeinsam mit Industrie und Politik bespricht, was getan werden kann, damit die bevorstehende Zeit einigermaßen erträglich wird und möglichst viele Unternehmen ohne größere Blessuren durchkommen.
Welche Rolle können Verbundgruppen dabei spielen?
Roman Degenhardt: Die Schuhverbundgruppen vertreten, ähnlich wie der BTE, die Interessen der Schuhhändler. Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit den Verbundgruppen konstruktive Gespräche mit Industrie und Politik führen werden und uns abstimmen, wie wir gemeinsam vorankommen.
Glauben Sie an die Partnerschaft zwischen Industrie und Handel? Und: Können beide überhaupt Partner sein?
Roman Degenhardt: Ein ganz klares Ja. Ich habe in den letzten Jahren in meinen Unternehmen sehr stark daran gearbeitet, mit den Herstellern oder Marken, mit denen ich zusammenarbeite, wirklich auch eine Partnerschaft zu leben. Ziel muss es sein, dass beide Seiten Geld verdienen. Das klappt nicht von alleine und es ist auch nicht damit getan, dass man sich mal trifft und das beschließt. Wenn wir eine neue Marke listen, sage ich genau, was ich von der Partnerschaft erwarte. Ich sage auch, was wir bieten können. Bei Neulistungen reicht es nicht, einfach emotional zu entscheiden: Jetzt starten wir. Es muss schon einen Dialog geben, etwa indem ich vorschlage, in welcher Filiale ich eine Marke platzieren kann, wie wir im Multichannel zusammenarbeiten können und was ich der Marke darüber hinaus ermöglichen kann. Natürlich geht es auch darum, welche Erwartungen der Lieferant an mich hat – da können wir durch unsere Neueröffnungen seit 2020 mit Marburg, Kassel, Gießen und Ilmenau natürlich auch ein paar neue Standorte vorweisen. Viele Hersteller wissen, dass sie ohne den stationären Handel nur schwer eine Marke aufrechterhalten können. Ich habe auch schon Partnerschaftsanfragen abgelehnt, etwa weil eine Marke sehr stark im Bereich D2C aktiv war.
Was läuft gut in der Partnerschaft und was würden Sie sich besser wünschen?
Roman Degenhardt: In manchen Partnerschaften, die ich aufgebaut habe, läuft es sehr gut. In solchen Fällen gebe ich meinen Lieferanten Einblick in ihre Zahlen, so dass sie selber sehen können, welche Artikel gut gelaufen sind, und mir auch Vorschläge machen können, was sie noch liefern könnten. Das umfasst auch gewisse Vertrauenslimits bei einigen Lieferanten. Andererseits gilt am Ende der Saison: Es muss für beide Seite passen.
Was hat sich für Sie auch mit Blick auf die Partnerschaft in der Pandemie verändert?
Roman Degenhardt: Unsere Lieferanten und wir sind intensiver zusammengerückt, weil wir uns mehr ausgetauscht haben. Ich habe mich mehr mit der Analyse von Artikelverkäufen beschäftigt und mit Fragen der Nachbestellung. Ich habe noch stärker den Kontakt gesucht und daraus sind nicht nur Geschäftsbeziehungen, sondern auch Freundschaften entstanden.
Welche Vertriebskonzepte haben Ihrer Meinung nach die besten Chancen?
Roman Degenhardt: Ich glaube, dass alle Konzepte ihre Berechtigung haben, ob das nun das Fachgeschäft, der Fachmarkt oder der Multichannel-Händler ist.
Der Schuhhandel ist derzeit stark unter Druck. Was bedeutet das für unsere Innenstädte?
Roman Degenhardt: Der Schuh-, der Textil- und der Lederwarenhandel sowie die Kaufhäuser sind die Herzstücke der Innenstädte. Wenn dort mehrere Geschäfte schließen, wird es schwierig für die Innenstädte werden. Das haben wir seinerzeit schon bei Hertie erlebt. Ich kann mir eine Innenstadt ohne Schuh-, Textil- und Lederwarenhandel bzw. Kaufhäuser nicht vorstellen. Wer sollte diese Lücken füllen? Daher brauchen wir jetzt Gespräche mit der Politik, nicht nur Bundesebene, sondern auch auf Landes- und auf städtischer Ebene. Denn auf Landesebene kann beispielsweise entschieden werden, wie viele verkaufsoffene Sonntage es gibt. Die Stadt kann überlegen, wie sie ins Stadtmarketing investiert. Und auf Bundes- und Landesebene muss man den Politikern klar machen, was es eigentlich vor Ort passiert, wenn aus wirtschaftlichen Gründen immer mehr Schuh-, Mode- und Lederwarenhändler sowie Kaufhäuser schließen.
Politiker wissen sehr oft aufgrund von über 100 Branchen in Deutschland nicht, wo bei einer Branche aus welchen Gründen aktuell der Schuh drückt. Daher müssen wir Händler auf die Politiker zugehen und ihnen in offenen Gesprächen erklären, warum es aktuell beispielsweise bei uns zu den sehr hohen Kostensteigerungen kommt. Beim Handelsverband Hessen e.V. gibt es deswegen bereits seit mehreren Jahren parlamentarische Abende, bei denen die Parteien, die im Landtag sitzen, zu uns Einzelhändlern kommen, um sich auszutauschen. Da sind gestandene Händler dabei: Vom Schuhhändler über Mode- und Lederwarenhändler bis hin zum Lebensmittelhändler sind alle Segmente vertreten und die Politiker nehmen diese Möglichkeit gerne wahr, sich mit den Händlern auszutauschen und zu hinterfragen, welche Probleme es in welchen Bereichen gibt.